Leise Kommt Der Tod
tat er es nicht.
»Lass uns gehen«, sagte er stattdessen. »Ich möchte mir die Überwachungsbänder ansehen.«
17
Am nächsten Morgen schlich sich Sweeney aus dem Schlafzimmer, ohne Ian und den friedlich schlummernden General zu wecken. Sie spazierte zum Davis Square, um Brötchen und die Tageszeitung zu besorgen. Sie waren erst kurz vor Mitternacht heimgekommen, und Sweeney hatte sich vorgenommen, den Samstagmorgen auszukosten und endlich mal auszuschlafen. Aber stattdessen war sie die ganze Nacht hindurch von seltsamen Alpträumen verfolgt worden, in denen sie durch düstere Räume gejagt wurde.
Als sie durch die angenehme Wärme des frühen Morgens schlenderte, fiel ihr mit einem Mal wieder ein, dass sie auch von ihrem Vater geträumt hatte. Er war vor ihrem Haus gestanden, einem niedrigen, massiven Gebäude aus grauem Holz, das sich von der trockenen, orange-braunen Landschaft abhob. Sie sprachen miteinander, ehe er im Haus verschwand. Plötzlich aber hatten sie sich im Hapner Museum befunden, in den Kellergalerien, und ihr Vater hatte sich über den steinernen Sarkophag gebeugt, hineingesehen und begeistert aufgejauchzt. Als Sweeney sich über seine Schulter lehnte, um selbst einen Blick hineinzuwerfen, sah sie ein kleines Diorama, das ihren Vater zusammen mit einer dunkelhaarigen Frau in einem Wohnraum zeigte. Die Szene glich einer Theateraufführung. Die beiden hatten sich gestritten, und ihr Vater hatte mit einer hellen, schrillen Stimme geschrien, die sie überhaupt nicht an
ihm kannte. Als sie sich ihrem Vater zuwenden wollte, um ihn zu fragen, was das sollte, hatte er nur gelächelt, noch einmal genickt und war dann verschwunden. Sie blieb allein im Keller des Museums zurück und bemerkte plötzlich, dass sie verfolgt wurde. Die Galerien waren düster, und die Artefakte in ihren trüben Glaskästen verspotteten sie, als sie wegrannte, ohne zu wissen, wer sie eigentlich verfolgte.
Sweeney blieb für einen Moment stehen, um ein Eichhörnchen zu beobachten, das über die winzige Grünfläche vor dem neu renovierten, dreistöckigen Haus am Ende der Straße hastete. Ungefähr alle drei Meter blieb es stehen, um zu überprüfen, ob Gefahr im Anmarsch war.
Der Traum war einfacher zu deuten, als es auf den ersten Blick schien. Zunächst einmal hatten Ian und sie erst vor ein paar Wochen über ihren Vater gesprochen, sodass sein Auftauchen in ihrem Traum durchaus Sinn ergab. Außerdem hatten sie sich über seine Freundin, oder was auch immer sie für ihn gewesen war, aus seiner Mexiko-Zeit unterhalten. Und nach den Vorfällen der vergangenen Nacht war es nicht weiter verwunderlich, dass sie sich vor den Galerien im Untergeschoss fürchtete. Trotz allem irritierte sie der Traum, doch sie konnte sich nicht erklären, warum.
Sie erstand ein Dutzend Krapfen bei ihrem Lieblingsbäcker, außerdem eine Packung Orangensaft und die New York Times . Auf dem Heimweg blätterte sie den Kunstteil durch. David Milkens Artikel über ihre Ausstellung befand sich auf einer der Innenseiten. Der Kritiker lobte sie in den höchsten Tönen, und im ersten Moment war Sweeney von ungeheurer Freude erfüllt. Leider hielt dieses Gefühl nur kurz, denn ihr Blick fiel auf den großen, detaillierten Bericht über den Mord an Olga und den versuchten Diebstahl des Kanopenkruges. Es machte sie betroffen, dass man sich, egal, wie erfolgreich ihre Ausstellung gewesen sein mochte, immer in Zusammenhang mit dem Mord an Olga daran erinnern würde. So war das nun leider einmal
mit Morden. Sie überschatteten alles Normale, blendeten es aus und brachten es zum Verschwinden.
Zurück in ihrer Wohnung, kochte sie Kaffee und schenkte sich ein großes Glas Orangensaft ein, das sie mit etwas übriggebliebenem Champagner aus dem Kühlschrank auffüllte. Ihr Traum hatte sie aus dem Konzept gebracht, daher beschloss sie, ihre Nerven mit etwas Alkohol zu stärken. Ein Mimosa war genau das Richtige, sie würde für Ian auch einen mixen. Während der General sein Frühstück verschlang und sich anschließend eine gute halbe Stunde lang das glänzende, schwarze Fell putzte, las sie die Zeitung fertig. Irgendwann verschwand der Kater durch das Fenster, um auf seine tägliche Erkundungstour zu gehen.
Sie belud ein Tablett mit Kaffee, Krapfen und den Mimosas und trug es ins Schlafzimmer, wo Ian immer noch schlief. Sie zog ihre Jeans wieder aus und legte sich zurück ins Bett, dann tippte sie Ian auf den Rücken und stellte das Tablett auf ihre Knie.
Sie
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