Leise Kommt Der Tod
sich zurück und trank sein Bier aus, ohne sie anzusehen.
Eine kurze unangenehme Stille entstand, bevor beide gleichzeitig zu sprechen begannen.
»Es tut mir leid, ich …«
»Ich hätte lieber...«
Sie lachten. »Was ich sagen wollte, war, dass es mir leidtut, dass wir den Kontakt verloren haben«, sagte Sweeney.
»Mir ebenfalls.« Er errötete und sagte dann: »Megan nimmt viel Zeit in Anspruch, außerdem besuche ich einen Literaturkurs. Erinnerst du dich noch daran, dass du mir dazu geraten hast?«
»Du machst das jetzt wirklich? Das ist großartig. Wie läuft es?«
»Ich denke, ganz gut. Nächste Woche muss ich meine erste Hausarbeit abgeben. Über die Ballade vom alten Seemann . Es ist schon ewig her, dass ich eine Hausarbeit geschrieben habe. Und was diese angeht, weiß ich gar nicht, wann ich sie in Angriff nehmen soll...«
»Entschuldigt meine Verspätung.« Sie sahen auf, und plötzlich stand Ian am Tisch. »Gerade als ich gehen wollte, hat das Telefon geklingelt.« Er lächelte und gab Sweeney einen Kuss auf die Wange.
»Du erinnerst dich an Tim Quinn?«
Er nickte und schüttelte Quinn die Hand. »Natürlich. Schön, Sie wiederzusehen.«
Sweeney hatte Recht gehabt. Er trug seinen Anzug aus der Arbeit, und neben Quinn in Shorts und T-Shirt und Sweeney in ihren Jeans und dem Tanktop wirkte er wie ihr seriöser Vater.
Ian bestellte ein Glas Weißwein, und sie unterhielten sich über das Wetter, bis das Getränk gebracht wurde, gemeinsam mit einer weiteren Runde Bier für Sweeney und Quinn. »Also womit kann ich Ihnen helfen?«
Sweeney sah zu Ian hinüber und nahm sein feinknochiges Gesicht mit den intelligenten blauen Augen hinter den Brillengläsern wahr. Auf seinen Wangen und am Kinn konnte sie einen dunklen Bartschatten erahnen.
Quinn wirkte erleichtert. »Gehen wir davon aus, der Krug wäre erfolgreich entwendet worden. Wie würde der Dieb vorgehen, um ihn loszuwerden?«
Ian griff unter dem Tisch nach Sweeneys Hand und rieb ihre Fingerknöchel mit seinem Daumen. »Die Sache sieht so aus«,
sagte er, »bei Kunstwerken von unschätzbarem Wert werden die meisten Diebstähle im Vorfeld geplant. Mit anderen Worten: Die wirklich erstklassigen Kunstdiebe stehlen nicht einfach irgendein Kunstwerk, weil sie glauben, es könnte von Wert sein oder irgendjemand würde sich dafür interessieren. Sie rauben es, weil sie genau wissen , wie wertvoll es ist und dass es einen Abnehmer gibt.«
»Heißt das, es gibt jemanden, der speziell diesen Krug will?«
»Genau. Sonst wäre die Sache auch nicht sehr rentabel, oder? Immerhin riskiert der Dieb Kopf und Kragen bei der Aktion. Eine Antiquität, die vielleicht keinen Abnehmer findet, ist das sicher nicht wert.«
»Von wem sprechen wir? Internationale Verbindungen?«
»Ich würde sagen ja«, entgegnete Ian. »Wenn ich mich recht erinnere, wurde für den Einbruch im Gardner Museum eine Bande aus Boston verantwortlich gemacht. Im Auftrag der IRA.«
»Das weiß man nicht sicher. Es war eine von mehreren Theorien. Vor ein paar Jahren meldete sich ein Typ, der behauptete, er kenne den Aufbewahrungsort der Bilder und würde sie im Austausch für einen Gefangenen aus den Reihen der IRA beschaffen. Die IRA hat noch nie davor zurückgeschreckt, ihre Aktionen mit Kunstdiebstählen zu finanzieren. Es gibt noch andere Verbrechersyndikate, über die wir sprechen könnten, aber entscheidend ist die Tatsache, dass diese Verbrechen immer sehr gut geplant sind.«
»Ich habe mich gefragt, ob es von Bedeutung ist, dass der Krug aus Ägypten stammt«, sagte Quinn. »Wissen Sie von Gruppen aus dem Nahen Osten, die in die Aktion verstrickt sein könnten?«
»Spontan fällt mir da nichts ein«, entgegnete Ian. »Meiner Auffassung nach werden Kunstdiebstähle in diesem Teil der Welt von Kriminellen vor Ort ausgeführt, nachdem sie von internationalen
Drahtziehern im Hintergrund geplant worden sind.«
Quinn nickte beeindruckt. »Also wie würde der Verkauf von einem Stück wie dem Krug ablaufen?«
Sweeney beobachtete, wie Ian einen Schluck von seinem Wein nahm, dann sein Jackett auszog und es über die Stuhllehne hängte. Elegant , dachte sie. Er war der eleganteste Mann, den sie je kennen gelernt hatte. »Die Person, die eine Antiquität wie diesen Krug kaufen würde - oder generell ein gestohlenes Kunstwerk -, muss sehr reich sein, für sie spielt Geld keine Rolle. Die Person hat keine Bedenken, ein gestohlenes Stück zu besitzen, und es ist ihr egal, dass sie niemals in der
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