Leise weht der Wind der Vergangenheit
ich, dass jetzt wohl alles zu Ende sei. Nie wieder wollte ich einer Frau auch nur einen Blick schenken, einen Gedanken und den Anflug eines Gefühls. Dann waren auf einmal Sie da, Mary, und ich hatte alle meine Bedenken vergessen.“
„Nicht, Greg. Ich möchte solche Worte nicht hören von Ihnen. Mein einziger Lebensinhalt ist Anne. Für sie werde ich da sein, solange sie lebt. Und das wird..." Sie senkte den Blick. „Das wird hoffentlich noch sehr lange sein, obwohl die Ärzte mir keine Hoffnung gemacht haben.“
Gregory Simpson zog seine Hand zurück. „Was ist mit Anne?“, fragte er alarmiert. „Sie macht doch jetzt einen recht gesunden Eindruck.“
„Ich sagte Ihnen doch, dass wir nur wegen Annes Gesundheitszustand ans Meer gezogen sind. Die salzhaltige Luft ist gut für ihre Lungen. Dennoch ist es sicherlich nur ein Hinauszögern der Krankheit, eine kurze Frist, die ihr noch gegeben ist, um ihre Kindheit, ihre frühe Jugend, ein wenig zu genießen. Anne wird sterben. Sie hat Lungenfibrose, und sie weiß es auch.“
„Anne hat..." Der Mann holte tief und vernehmlich Luft. Dann sprang er auf, riss seine Kaffeetasse hoch und füllte sie erneut aus der Kanne am Herd. Dann holte er wieder die Flasche aus dem Schrank und schüttete einen kräftigen Schluck dazu. Dieses Mal jedoch machte er sich nicht mehr die Mühe, sich so hinzustellen, dass Mary es nicht sehen konnte.
„Ist das Alkohol?“, fragte die Besucherin leise.
„Gin", antwortete der Mann und setzte sich wieder. „Nach diesen Worten brauche ich ein Stärkungsmittel." Er trank die Tasse in einem Zug leer. „Anne hat also Lungenfibrose", stellte er fest und räusperte sich. „Josh ebenfalls. Er erkrankte, als er noch ganz klein war. Kurz nachdem seine Mutter uns verlassen hatte, begannen die Erstickungsanfälle, zunächst noch recht selten und nicht besonders heftig. Doch inzwischen sind sie so schlimm, dass ich jedes Mal fürchte, ihn zu verlieren." Er starrte auf die Tischplatte.
„Deshalb also haben Sie angefangen zu trinken?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich bin kein Gewohnheitstrinker, wenn Sie das meinen", widersprach er sofort. „Manchmal kann es schon passieren, dass es etwas zuviel wird. Doch das geschieht ohnehin nur abends.“
„Wir haben jetzt frühen Vormittag", widersprach Mary ihm. Plötzlich empfand sie Mitleid mit dem Mann, der offenbar mit seinem Schicksal noch weniger zu Recht kam als sie selbst. Er hatte ihr den Hof machen wollen, das wusste sie, und nun war etwas ganz anderes draus geworden.
„Josh und Anne werden einen grausamen Tod haben", sagte er so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte. „Sie werden beide ersticken, genau wie..." Stöhnend legte er beiden Handflächen über sein Gesicht. „Vielleicht ist es wirklich besser, Sie gehen jetzt, Mary." Nur mit Mühe konnte er seine Stimme unter Kontrolle halten. „Für heute haben wir genug
gesprochen. Und - „ er starrte sie zwingend an, „lassen Sie Anne nie zu den Klippen gehen, wenn Sie sie noch eine Weile behalten wollen." Seine Worte klangen wie eine Drohung.
Mary griff erschrocken nach der Türklinke. „Wie meinen Sie das?“
„Anne darf nie dorthin gehen. Auch Josh habe ich nicht erlaubt, sich dort aufzuhalten. Es ist ein Ort der... des Todes. Sie müssen mir glauben, Mary. Ich weiß, was ich sage. Alles wiederholt sich im Leben. Die Vergangenheit ist zurückgekehrt, um endlich alle Verantwortlichen ihrer gerechten Strafe zuzuführen." Sein Gesicht hatte sich auf erschreckende Weise verändert. Fast hatte es den Anschein, als hätte er in diesen wenigen Minuten seinen Verstand verloren.
„Wir reden ein anderes Mal darüber, Greg. Sie sind betrunken." Mary bekam es jetzt wirklich mit der Angst zu tun.
„Sie haben recht, ich bin betrunken", stimmte er zu. „Doch man sagt: Narren und Betrunkene sagen die Wahrheit. Sie sollten meine Worte ernst nehmen, wenn Sie...“
Mary wollte nichts mehr hören. Ohne sich um den Mann zu kümmern, der noch immer vor sich hinbrummelte, riss sie die Tür auf und rannte nach draußen. Kühler Wind strich über ihr erhitztes Gesicht, und langsam ließ die unerträgliche Angst nach. Ihre Schritte wurden langsamer, und als sie das letzte Stück zu ihrem Häuschen zurücklegte, ging sie langsam, weil sie nachdenken wollte.
Greg hatte getrunken, deshalb hatte er auch so wirres Zeug geredet, sagte sie zu sich. Dennoch konnte sie
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