Leise weht der Wind der Vergangenheit
Haus und rannte davon.
„Was war das denn?“, fragte Mary erschrocken. „Habt ihr euch gezankt?“
Lächelnd schüttelte Anne den Kopf. „Er muss sich erst daran gewöhnen.“
Mary verstand nicht und fragte deshalb nach. Doch sie bekam keine Antwort. Deshalb beschloss sie, es einfach zu akzeptieren. „Setz dich an den Tisch, Anne. Wir können gleich essen", sagte sie und nahm den Topf vom Herd. „Ich hoffe, du hast ordentlichen Appetit mitgebracht.“
Anne nickte. „Wir waren bei den Klippen", begann sie zu erzählen. „Ich wusste gar nicht, dass Meeresluft so hungrig macht. Es war wunderschön. Wir haben sogar die Höhle entdeckt. Und dann habe ich dir etwas mitgebracht." Sie griff in ihre Tasche und holte ein kleines Sträußchen Grasnelken heraus, die schon ein wenig verwelkt aussahen.
„Sie halten nicht lange, hat Josh gesagt, doch ich wollte dir unbedingt welche mitbringen.“
Mary nahm die Blüten aus der Hand ihrer Schwester und schnupperte daran. Tränen stiegen in ihre Augen, denn plötzlich wurde ihr mit erschreckender Deutlichkeit klar, dass die Tage mit Anne alle abgezählt waren. Einige Monate vielleicht, ein Jahr oder auch noch etwas länger oder gar nur einige Wochen, das war die Zeit, die das Schicksal ihnen beiden gewährte. Dann würde sie, Mary, allein zurückbleiben. Doch daran wollte sie in diesem Moment nicht denken. Hastig wandte sie sich um und stellte die Blüten in ein kleines Glas, das sie mit frischem Wasser füllte. „Und jetzt an die Futterschüssel, Schwesterchen", sagte sie forsch und zauberte ein glückliches Lächeln in ihr Gesicht. Es gelang ihr sogar.
* * *
Mit gesenktem Kopf und nach vorne hängenden Schultern kämpfte Joshua Simpson gegen den heftigen Wind an. Er hatte Mühe, einen Fuß vor den anderen zu setzen, denn er hatte eben erst einen Hustenanfall überstanden. Er fühlte sich so schwach und ausgelaugt, dass er sich am liebsten auf einen Stein gesetzt und das Unwetter abgewartet hätte.
Endlich hatte der Zwölfjährige das Haus erreicht. Er stieß die Tür nach innen auf und taumelte schwer atmend hinein. Einen Moment lang lehnte er sich an die Wand, um wieder zu Kräften zu kommen.
„Was ist mit dir, Josh?" Greg Simpson saß am Tisch und starrte in sein Glas. In der goldbraunen Flüssigkeit spiegelte sich das trübe Licht der Deckenlampe wider. „Geh ins Bett, Josh", fuhr er gleichgültig fort.
Joshua schwankte zur Tür. „Mir ist kalt", klagte er. „Kann ich bei dir in der Küche bleiben? Da ist es wärmer." Er blickte sehnsüchtig zu der bequemen Liege, die an der Wand gegenüber der Tür stand.
„Wenn es sein muss." Greg trank sein Glas in einem Zug leer. „Ich möchte mich aber nicht unterhalten", sagte er mit kalter Stimme.
„Ist schon in Ordnung, Dad." Josh ließ sich auf die Liege fallen und wickelte sich in die dunkle Wolldecke, die schon immer da gelegen hatte.
„Wo warst du?" Anscheinend hatte der Mann vergessen, was er eben noch befohlen hatte.
„Bei den Klippen." Josh drehte das Gesicht zur Wand. „Ich wollte Anne treffen. Doch sie ist nicht gekommen.“
„Dann geht es dir mit deiner Freundin genauso wie mir mit meiner", kam die zornige Feststellung. „Ich denke, wir sollten beide die Finger von den Schwestern lassen. Sie sind nicht gut für uns.“
„Du liebst Mary?“
„Na und?“, kam es barsch. „Aber sie liebt mich nicht.“
„Sie hat es dir gesagt?“
„Vorhin hat sie mir die Augen geöffnet. Ich war ein Idiot." Er füllte sein Glas erneut. Genussvoll leckte er sich über die Lippen. „Ich habe sie besucht, weil ich mit ihr reden wollte. Wir könnten heiraten, dachte ich. Sie ist allein und ich bin es ebenfalls. Außerdem seid ihr beiden, Anne und du, die besten Freunde, eine wunderbare Voraussetzung, dass eine Familie funktioniert. Das wollte ich ihr sagen. Doch es war schon ein anderer da, dieser Schriftsteller, dieser Wortverdreher. Er hat ihr schöne Augen gemacht. Und jetzt bin ich abgemeldet.“
„Das ist auch besser für Mary", sagte Josh leise. „Die nächste Zeit wird sehr schwer für sie, und du wärst ihr bestimmt keine Hilfe.“
Wütend starrte Greg seinen Sohn an. „Was soll die Unverschämtheit?“, herrschte er ihn an. „Du wirst dir doch nicht einbilden, die Weisheit eines ganzen Lebens mit in die Wiege gelegt bekommen zu
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