Leise weht der Wind der Vergangenheit
die Unterhaltung nicht vergessen. Die Worte des Mannes hätten ihre eigenen sein können. Er hatte nur ihre Gedanken laut ausgesprochen, die sie bewegten, seit sie ihre Reise nach Ronaldsburgh angetreten hatten.
Eine unerträgliche Sehnsucht nach Anne überfiel die junge Frau. Doch das Haus war leer. Stöhnend ließ sich Mary auf das Bett fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. In ihrer Hand fühlte sie etwas Kühles, das ihr gleichzeitig den Eindruck vermittelte, sie hätte sich an etwas Heißem verbrannt. Mit einem Schmerzensschrei zog sie die Hände zurück und drehte sich um. Auf ihrem Kopfkissen lag Annes Puppe Britta, und für einen Moment lang sah es aus, als hätte sie ihren Mund zu einem grausamen Lächeln verzogen.
Jetzt hatte Mary genug. Sie verließ das kleine Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen. Erst als sie draußen auf dem Flur war begann sie zu laufen, als müsste sie etwas Entsetzlichem entfliehen.
Doch das Schicksal hatte die Verfolgung bereits aufgenommen.
* * *
„Bald wird der Rhododendron wieder blühen. Ich bin überzeugt davon, dass du begeistert sein wirst, Anne." Joshua Simpson hatte die Hand seiner neuen Freundin ergriffen. „Gefällt es dir hier?“
Anne nickte. „Mir ist es, als hätte ich mein ganzes Leben in Ronaldsburgh verbracht. Die Gegend ist mir unendlich vertraut, und sogar dieses verfallene Cottage dort vorne kenne ich so gut, als hätte ich schon viele Male in den Mauerresten gespielt.“
Der Griff von Joshuas Hand wurde fester. „Fällt dir denn gar nichts auf, Anne?“, fragte er leise. „Wir beide gehen so selbstverständlich zu den Klippen als hätten wir unser ganzes Leben lang nichts anderes getan. Etwas geht mit uns vor, spürst du es nicht? Doch ich habe keine Angst, denn es muss etwas Wunderbares sein.“
„Bitte Joshua, sprich nicht davon." Annes Stimme bebte. „Noch ehe Mary und ich die Reise nach hier angetreten haben wurde mir bei dem Gedanken an unsere neue Heimat ziemlich mulmig zumute. Schau, dort vorne ist der Felsen, an dem wir immer..." Erschrocken hielt sich die Zwölfjährige die Hand vor den Mund. Der Hauch einer Erinnerung, so kurz nur wie die Strahlen der Sonne, die immer wieder hinter den Wolken verschwand, hatte sie gestreift.
Ratlos schüttelte das Mädchen den Kopf. „Du hast recht, Josh", sagte Anne leise. „Irgend etwas passiert mit uns. Glaubst du, dass es gefährlich ist?“
Joshua lachte. „Es ist wunderbar", jubelte er, „und das, was uns erwartet, wird allemal besser sein als mein Leben, das ich bis jetzt mit Dad geführt habe. Es macht keine Freude.“
„Ist es so schlimm?“
„Noch schlimmer", antwortete der Junge, und für einen kurzen Moment verzog er sein Gesicht, als würde er gleich anfangen zu weinen. „All die Jahre hab ich mich bemüht, ihm ein guter Sohn zu sein. Doch mein Vater hat den Alkohol immer mehr geliebt als mich. Jetzt habe ich es aufgegeben. Aus uns beiden wird nichts mehr. Ich glaube, dass alle Zeit dieser Welt nicht ausreichen würde, um aus Dad und mir eine Familie zu machen.“
„Britta hat mir schon davon erzählt", sagte Anne nachdenklich. „Du kennst meine Puppe noch nicht. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, werde ich sie mitbringen und dir vorstellen. Du musst sie unbedingt kennen lernen. Sie sagte mir auch, dass wir beide bald sehr glücklich sein werden. Du musst nicht traurig sein, Josh, bald sind wir alle wieder zusammen." Annes Blick hatte sich verschleiert. Er wanderte irgendwohin in die Ferne und verlor sich dann.
Verwundert betrachtete Joshua seine neue Freundin. „Anne, was ist mit dir?“, fragte er, und jetzt klang auch seine Stimme ein wenig ängstlich. „Du siehst auf einmal ganz anders aus.“
Gewaltsam musste sich Anne von irgendwelchen Bildern losreißen, die durch ihre Gedanken gegeistert waren. „Ist es nicht wunderschön hier?“, fragte sie und deutete auf den herrlichen Ausblick aufs Meer, der sich ihnen gerade von dieser Stelle aus bot. Der Boden unter ihren Füßen war über und über bedeckt mit rosa blühenden Grasnelken, und ein vorsichtiger Blick in die Tiefe zeigte einen schmalen Sandstrand, nicht sehr lang und auch nicht sehr breit, doch von solch einer bezaubernden Schönheit, dass das Mädchen den Blick kaum mehr losreißen konnte. „Ist dort oben eine Höhle?“
Josh nickte. „Es führt auch ein Weg
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