Leises Gift
hohen Progesteronspiegel.«
»Was?«
Kaufman nickte. »Sie versucht doch immer noch schwanger zu werden, nicht wahr?«
»Ja. Wie hoch ist der Spiegel, über den wir uns unterhalten? Kontrazeptiv?«
»Mehr. Eher wie die Pille danach.«
Chris spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Mike Kaufman hatte soeben einen Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht begangen, und diese Tatsache schien ihm ebenfalls zu dämmern. Mehr noch, beiden Männern war klar geworden, dass Chris’ Ehefrau in einer ganz entscheidenden Angelegenheit unehrlich gegenüber ihrem Mann gewesen war. Kaufman nickte ihm verlegen zu und setzte seinen Weg fort.
Chris näherte sich mit langsamen Schritten der Intensivstation. Er nahm seine Umgebung kaum wahr – die Implikationen von Kaufmans Enthüllung waren schier unerträglich. War es möglich, dass Thora ihn in seinem Studio nur deshalb verführt hatte, um eine Affäre – und ihre Folgen – zu vertuschen? Dass ihr Gerede von ihren Bemühungen, schwanger zu werden, nichts weiter als eine Scharade war? Ein kaltblütiger Akt, um Gott weiß was sonst noch alles zu vertuschen?
Unvermittelt tauchten die breiten Türen der Intensivstation vor Chris auf und schienen einen Fluchtweg aus der auflodernden Hölle in seinem Kopf zu bieten.
Die kühlere Luft, das Summen und Piepsen von Maschinen und die leisen Stimmen der Schwestern verschafften ihm vorübergehende Erleichterung und Ruhe vor sich selbst. Hier blieb ihm gar nichts anderes übrig, als sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er hatte einen Teenager aus der St. Stephen’s auf der Station; der Junge hatte eine hartnäckige zweiseitige Lungenentzündung, die sich bereits gegen zwei starke Antibiotika als immun erwiesen hatte. Am vergangenen Abend hatte Chris während seiner Visite einen Tropf mit Vancomycin verordnet. Falls sich der Zustand des Jungen nicht gebessert hatte, würde er den Fall nach Jackson verlegen, zu einem Spezialisten für Infektionskrankheiten an der Uniklinik, mit dem er befreundet war. Als er den Blick zu den gläsernen Abteilen hob, war das Erste, was er sah, Tom Cage, der aus einem der Zimmer kam.
»Tom! Ich wusste gar nicht, dass Sie einen Fall auf der Intensivstation haben.«
»Habe ich auch nicht«, antwortete Cage, wobei er etwas in eine Akte notierte. »Ich war bei dem Patienten, wegen dem Don Allen mich konsultiert hat. Ich wollte ein detaillierteres Bild als das, was ich in seiner Krankenakte vorgefunden habe.«
»Und? Haben Sie etwas Interessantes entdeckt?«
»Ich bin mir nicht sicher. Irgendwas sagt mir, dass der Patient an allgemeiner Sklerodermie leidet, obwohl die Labortests keinerlei Hinweis darauf geben. Bei Männern ist es häufig so, dass man keine äußeren Anzeichen sieht, doch der Blutdruck dieses Kranken ist atemberaubend und durch nichts in Schach zu halten.«
»Falls es eine innere Sklerodermie ist, was kann man gegen die Hypertonie unternehmen?«
Als der weißhaarige Arzt den Blick von der Akte hob, bemerkte Chris einen Ausdruck in seinen Augen, den Dr. Cage einem Patienten niemals zeigen würde: Hilflosigkeit, gemischt mit Wut und Resignation. Chris nickte traurig.
»Ach ja, und ich habe mir Ihre Lungenentzündung angesehen«, sagte Tom Cage. »Die weißen Blutkörperchen sind im Verlauf der Nacht signifikant zurückgegangen.«
»Na also!«, sagte Chris erfreut »Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Der Junge ist erst siebzehn.«
Tom seufzte mitfühlend. »Ich habe das Gefühl, dass immer mehr von diesen atypischen Lungenentzündungen auftreten, speziell bei jungen Erwachsenen.«
»Sind Sie fertig mit Ihrer Visite?«
»Ja. Ich bin auf dem Weg in die Praxis.«
»Ich komme gleich nach.«
Chris betrat den Raum, in dem sein Patient untergebracht war. Er musste nicht erst das Diagramm studieren, um die Veränderung zu sehen. In den Augen des Jungen leuchtete ein Licht, das seit wenigstens einer Woche nicht mehr dort gewesen war, und seine Hautfarbe hatte bereits die todesähnliche Leichenblässe verloren. Als Chris die Brust des Jungen mit einem Stethoskop abhorchte, stellte er deutliche Verbesserungen fest, insbesondere im linken Lungenflügel. Er lachte über einen Witz, den der Junge über die Schwestern und über Bettschüsseln machte, als er Shane Lansing erblickte, der draußen auf der Schwesternstation etwas in eine Krankenakte schrieb. Lansing schien sich auf die Akte zu konzentrieren, während er schrieb, doch Chris hatte das deutliche Gefühl, dass der Chirurg ihn
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