Leises Gift
bis zu dem Moment angestarrt hatte, als er aufgeblickt hatte.
Michael Kaufmans Worte hallten in seinen Ohren wider. Eher wie die Pille danach …
War Lansing mit den Gedanken bei einem seiner Patienten? Oder bei Thora? Chris spürte so etwas wie Erleichterung, den Chirurgen so früh am Morgen in Natchez anzutreffen. Greenwood lag mehr als vier Stunden entfernt, und es war höchst unwahrscheinlich, dass Lansing jeden Tag acht Stunden Fahrt auf sich nahm, um Thora im Alluvian zu vögeln. Er hätte sie bereits um vier Uhr heute Morgen wieder verlassen müssen, um jetzt hier im Krankenhaus zu sein. Dennoch verspürte Chris einen irrationalen Zwang, nach draußen zu gehen auf die Schwesternstation und dem Chirurgen die Nase einzuschlagen. Er verabschiedete sich von seinem Patienten, sagte, dass er nach dem Mittagessen noch einmal vorbeischauen würde, um seine Fortschritte zu überprüfen, aktualisierte die Krankenakte und verließ das Zimmer.
»Morgen, Chris«, sagte Lansing. »Denken Sie noch an unser Golfspiel?«
»Heute Nachmittag kann ich nicht.« Chris suchte in Lansings Augen nach Anzeichen von Müdigkeit. »Aber vielleicht morgen.«
»Rufen Sie mich an. Oder hinterlassen Sie mir eine Nachricht.«
»Sie können nachmittags weg?«
»Sicher. Ich habe meist morgens alle Hände voll zu tun.«
»Deswegen machen Sie ja auch das große Geld.«
Lansing antwortete nicht.
Chris sah schweigend zu, wie der attraktive Chirurg eine weitere Akte studierte; dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ die Intensivstation.
Als er den Korridor hinunterging, wäre er fast mit Jay Mercier zusammengeprallt, dem einzigen Hämatologen in Natchez. Wie andere Spezialisten in Kleinstädten auch, die alles Mögliche behandelten, angefangen von Efeu-Vergiftung bis hin zu Gicht, war Mercier zugleich der allgemeine Onkologe der Stadt und damit befasst, jede Geschwulst im gesamten County zu diagnostizieren und sie entweder selbst zu behandeln oder als Kontaktperson für spezielle Kliniken in den großen städtischen Zentren zu fungieren. Er war einer der meistbeschäftigten Ärzte der Stadt, und doch hatte Chris nie erlebt, dass er mit seiner Zeit knauserte, besonders nicht in der Sprechstunde. Chris überlegte kurz, ob er Mercier beiseiteziehen und fragen sollte, ob es möglich war, absichtlich Krebs bei einem Menschen auszulösen – doch wenn er das tat, würde Mercier ihn ohne Zweifel mit Fragen durchlöchern, wie er auf ein so abgehobenes Szenario käme.
»Morgen, Chris.« Mercier lächelte ihn an. »Wie geht es der resistenten Lungenentzündung?«
»Ich glaube, das Vancomycin hat endlich angeschlagen.«
»Gut. Der Junge sah ziemlich mitgenommen aus.«
Sie waren beide langsamer geworden und hätten mühelos eine Unterhaltung anfangen können, doch Chris zwang sich, seinen Weg den Korridor entlang fortzusetzen. Sobald er um die Ecke bog, war der Ausgang nicht mehr weit. Doch anstatt das Krankenhaus zu verlassen, lehnte er sich an die Wand wie ein Mann, der eine Zigarettenpause macht. Weniger als eine Minute später hatte er seine Antwort. Als Shane Lansing um die Ecke bog, trat Chris ihm direkt in den Weg.
Der Chirurg wirkte überrascht, jedoch nicht ängstlich. »Haben Sie sich das mit dem Golfspiel noch mal überlegt?«
Chris starrte Lansing hart in die Augen. »Vögeln Sie meine Frau, Shane?«
Lansing blinzelte, doch er ließ sich nicht das Geringste anmerken. »Verdammt, nein! Wovon reden Sie überhaupt?«
Chris starrte ihn einige Sekunden lang an, ohne zu antworten. »Ich glaube, Sie lügen.«
Lansing kniff die Augen zusammen. Er setzte zu einer Erwiderung an; dann schloss er den Mund wieder und versuchte sich an Chris vorbeizuschieben.
Chris packte ihn am Arm und schleuderte ihn gegen die Wand. »Wagen Sie es nicht, mich wie einen dummen Jungen stehen zu lassen, Sie Hurensohn.«
Lansing starrte ihn wie betäubt an. Wahrscheinlich war er mehr von der Direktheit der Konfrontation überrascht als von Chris’ körperlichem Übergriff. »Sie haben den Verstand verloren, Shepard!«
»Jede Wette, dass Sie sich bestens auskennen mit Szenen wie diesen, was, Lansing? Ein Weiberheld wie Sie … Wissen Sie was? Diesmal werden Sie nicht einfach davonkommen. Wären wir noch auf der Junior Highschool, würde ich Ihnen nur kräftig in den Arsch treten und es dabei belassen. Aber das Schicksal eines Jungen steht auf dem Spiel. Und ich weiß genug über Sie, um zu wissen, dass Sie in Wirklichkeit einen Dreck auf Thora geben.
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