Leises Gift
Oh, sicher, es macht Ihnen Spaß, sie zu vögeln. Das Gefühl, von ihr begehrt zu werden, macht Sie an. Aber das ganze Paket ist eher uninteressant, stimmt’s?«
Lansing ließ sich immer noch nichts anmerken. Doch dann, in der knisternden Stille, entdeckte Chris einen Riss in seinem Panzer. Es war Selbstgefälligkeit. Lansing vermochte die Überlegenheit nicht zu verbergen, die er empfand – eine heimliche Überlegenheit, die zweifellos auf seiner intimen Kenntnis von Chris’ Frau basierte, ihrem Körper, ihren Emotionen, ihren Plänen. Dann kam Chris ein weitaus erschreckenderer Gedanke.
»Oder vielleicht doch?«, sagte er. »Es ist Thoras Geld, stimmt’s? Sie hatten schon immer eine Vorliebe für Geld, und Thora hat genug davon, um Ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen. Ist es nicht so?«
Lansing ließ seine Maske fallen. Er tat nicht mehr unschuldig. Er sagte irgendetwas, doch Chris hörte ihm nicht zu. Sein Kleinhirn reagierte auf die Faust, die der Chirurg ansatzlos von der Seite her schlug. Chris war kein Boxer, doch er hatte an der Highschool drei Jahre lang gerungen. Er packte das Handgelenk des Chirurgen und nutzte den Schwung, den Lansing in seinen Schlag gelegt hatte, um den großen Mann über sich hinwegzuschleudern.
Lansing landete krachend auf dem Boden. Der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen. Chris drehte ihn auf den Bauch, stemmte ihm das Knie in den Rücken und bog ihm einen Arm nach hinten. Lansing schrie schmerzerfüllt auf. In diesem Moment kamen zwei Krankenschwestern um die Biegung und blieben mit offenen Mündern gaffend stehen.
»Gehen Sie weiter!«, herrschte Chris sie an. »Verschwinden Sie!«
Sie eilten den Gang hinunter, ohne den Blick von dem Geschehen zu nehmen.
Chris brachte den Mund dicht an Lansings Ohr. »Eine Freundin von mir wurde gestern Nacht fast umgebracht. Vielleicht wissen Sie davon, vielleicht auch nicht. Aber merken Sie sich eins: Sie sind nicht der Einzige, um den es hier geht. Es geht um Ben, es geht um Ihre Kinder, Ihre Frau, Thora und mich. Die meisten dieser Leute können sich nicht wehren. Aber ich kann es.« Er verdrehte Lansing den Arm, bis der Chirurg erneut aufschrie. »Wenn Sie irgendetwas tun, das Ben schadet, dann dauert es ein Jahr, bis Sie wieder operieren können. Haben Sie verstanden, Shane?«
Lansing grunzte.
»Das dachte ich mir. Und wenn Sie so unschuldig sind, wie Sie eben noch getan haben, können Sie jetzt meinetwegen die Polizei rufen und mich anzeigen. Ich warte in meiner Praxis.«
Chris hörte, wie sich hinter der Biegung ein Durcheinander von Stimmen näherte. Er erhob sich und verließ das Gebäude durch die Glastür; dann trottete er zu seinem Pick-up. Als er vom Parkplatz fuhr, sah er den Verwaltungsdirektor des Krankenhauses vor der Tür stehen und ihm hinterhergaffen.
Als Chris in der Praxis eintraf, informierte er Holly, dass er nicht gestört werden wollte. Dann verschwand er in seinem privaten Büro, rief über die Gegensprechanlage beim Empfang an und bat Jane, ihn mit Dr. Peter Connolly vom Sloan-Kettering-Krebszentrum in New York zu verbinden.
Peter Connolly war ein aufsteigender Stern in der Welt der Onkologie. Bis vor sechs Jahren war er noch Professor für Hämatologie an der Universitätsklinik in Jackson, Mississippi, gewesen. Dann hatte er ein Angebot vom Sloan-Kettering erhalten, eine neue klinische Forschungseinrichtung für simultane Organ-und Knochenmarkstransplantationen zu leiten. Während seiner Zeit in Jackson hatte er einen entscheidenden Anstoß dazu gegeben, dass die Universitätsklinik sich um den Titel eines Nationalen Krebszentrums bewarb – wovon in den Vereinigten Staaten lediglich acht weitere existierten.
Chris’ Gegensprechanlage summte. Jane war dran. »Und?«, fragte er.
»Ich habe seine Sekretärin in der Leitung. Dr. Connolly zeigt gerade einigen Assistenzärzten, wie man Knochenmark entnimmt. Er wird versuchen, Sie noch vor dem Mittagessen zurückzurufen.«
»Danke, Jane«, sagte Chris und versuchte seine Enttäuschung im Zaum zu halten. Man konnte schließlich nicht erwarten, im angeblich besten Krebszentrum der USA anzurufen und ohne Verzögerung einen der Spitzenforscher an den Apparat zu bekommen. »Sagen Sie bitte, dass ich die schnelle Antwort zu schätzen weiß.«
»Sie kann Sie mit seiner Mailbox verbinden, falls Sie eine Nachricht hinterlassen möchten.«
»Okay.«
»Warten Sie.«
Es klickte zweimal, und dann hörte er eine digitale Stimme sagen:
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