Leises Gift
ihren Computer und ihre Fallunterlagen einpackte, schob Chris die tote Katze in einen Abfallsack. »Ich sehe mir das genauer an, wenn wir zurück sind«, sagte er. »Vielleicht finde ich Bissspuren.«
»Sind Sie sicher, dass es kein Problem gibt mit Ben?«
»Er ist bei Mrs. Johnson. Los, fahren wir.«
Alex öffnete die Wagentür; dann stockte sie. »Ist die Korallenschlange in Mississippi heimisch? Ich bin hier aufgewachsen, aber ich habe noch nie eine zu Gesicht bekommen. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern.«
»Die Schlange ist zwar in Mississippi heimisch, aber nicht in diesem Teil des Staates. Es ist eine Fahrt von zwei Stunden bis in Korallenschlangen-Territorium, und selbst dann könnten sie eine ganze Woche suchen und keine finden. Die Tiere sind extrem scheu.«
»Also kann sie unmöglich einfach in mein Zimmer gekrochen sein …?«
»Nie im Leben! Jemand hat die Schlange in Ihr Zimmer gebracht. Und das beantwortet auch eine weitere Frage ein für alle Mal.«
»Und welche?«
»Der Kerl, der Sie im Carport angegriffen hat, ist wegen Ihnen gekommen, nicht wegen mir.«
25
Eldon Tarver steuerte seinen weißen Lieferwagen vorsichtig durch ein Gestrüpp, das den ausgefahrenen Weg versperrte. Es war bereits die vierte Strecke, die er versuchte, und diesmal hatte er das Gefühl, dass seine Bemühungen von Erfolg gekrönt waren. Den Fluss zu erreichen war nicht schwierig – ungefähr alle fünfzig Meter führten Radspuren von der Schotterpiste zur breiten Sandbank am Ufer des Mississippi südlich von Natchez. Das Problem war, dass der Sand am Ende dieser Radspuren weich und der Fluss seicht war. Dr. Tarver brauchte ein Stück Ufer, das das Gewicht des Wagens bis direkt zum Fluss hinunter trug, und gleich dahinter wenigstens drei Meter tiefes Wasser, um den Lieferwagen darin zu versenken. Die starke Strömung des Mississippi würde den Rest besorgen und den Wagen mit einer Kraft mit sich reißen, die garantierte, dass er bis zum Morgen verschwunden wäre. Doch wenn er im Sand feststeckte, konnte jeder Angler ihn schon von weitem sehen, wenn er auf der Jagd nach Welsen oder Hechten mit seinem Flachbodenboot hier entlangraste.
Tarver war zu gerissen, um nach Jackson zu flüchten. Agentin Morse konnte mit Leichtigkeit Straßensperren an sämtlichen Ausfallstraßen errichten lassen. Aus diesem Grund war er nach dem Kampf mit ihr in dem Wohnviertel nur über Nebenstraßen bis hinunter zur Ruine der alten Papiermühle gefahren. Ein ausgedehntes Sojabohnenfeld markierte die Stelle, wo der Asphalt in Schotter überging. Die Piste verlief parallel zum Fluss und führte zu einer Kette von Ölförderpumpen und einem Wildschutzreservat südlich der Stadt. All das hatte Eldon aus dem Studium topographischer Karten erfahren – ein kleiner Teil der intensiven Vorbereitung, die jeder seiner Operationen vorausging. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass Vorbereitung der Schlüssel nicht nur zum Erfolg, sondern zum Überleben war, und in dieser Hinsicht war er niemals leichtsinnig.
Hinten im Wagen stand das greifbare Zeugnis dieses Vorbereitetseins auf sämtliche Eventualitäten: ein Honda-Motorrad für den Betrieb auf und abseits der Straßen. Eldon hatte die Maschine bei jedem Einsatz während der letzten fünf Jahre mitgeführt, und heute Nacht würde sich jeder Tropfen Schweiß, den er jemals beim Be-und Entladen des Lieferwagens vergossen hatte, als der Mühe wert erweisen.
Das Licht der Scheinwerfer spiegelte sich auf Tausenden Blättern, als Äste gebogen wurden, entlang der Seiten des Fahrzeugs schrammten und hinter dem Heck wieder zurückschnappten. Tarver hatte den Lieferwagen von Anfang an als entbehrlich betrachtet. Er besaß einen zweiten, genau das gleiche Modell bis auf die Farbe, in einer Garage in seinem Primatenlabor in Jackson. Unvermittelt leuchteten die Scheinwerfer in den freien Raum, eine tiefe Schwärze, die zu Dunkelblau wurde, als er das Licht ausschaltete.
Während er in den nächtlichen Himmel starrte, erschienen winzige rote Lichter auf den mächtigen Masten, die Telefonkabel über den Fluss führten. Weiter unten und zu seiner Rechten, vielleicht anderthalb Kilometer entfernt, erblickte er die Lichter eines sich nähernden Lastkahns. Wenn er blieb, wo er war, würde der Kahn ihn bald passieren.
Er stellte den Motor ab, stieg aus dem Wagen und ging vorsichtig nach vorn, während sein Blick unablässig auf dem sandigen Erdreich zu seinen Füßen ruhte. Er hatte das Gefühl, hoch über dem
Weitere Kostenlose Bücher