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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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war, gleich welchen Ausmaßes, einschließlich trivialer Auslassungen. Nach diesen Standards zu urteilen, waren Alex’ Verfehlungen sehr ernst. Sie war noch nicht aufgefordert worden, sich an einen Polygraphen anschließen zu lassen, doch man hatte sie vereidigt.
    Einer der beiden Männer hatte sämtliche Vorwürfe wiederholt, die Deputy Director Dodson gegen Alex erhoben hatte und sicherheitshalber noch ein paar Spitzfindigkeiten hinzugefügt. Alex hatte gar nicht genau hingehört, bis die Frau eine Kopie der kompromittierenden Kurznachricht hochhielt, die Alex am Tag zuvor während ihres ersten Wutanfalls über den Rückruf nach Washington an Andrew Rusk geschickt hatte. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie Dodson in den Besitz dieser Kopie gelangt war, doch sie war ausgebufft genug, nicht danach zu fragen. Die Bürokraten auf der anderen Seite des Tisches würden ihr ohnehin nichts verraten. Doch jetzt kamen sie zu einem Teil des Verfahrens, den Alex nicht ignorieren durfte.
    »Special Agent Morse«, sagte die Frau. »Haben Sie irgendetwas zu Ihren Gunsten zu sagen, bevor wir diese Anhörung beenden?«
    »Nein, Ma’am.«
    Die Frau runzelte vorwurfsvoll die Stirn wie eine Kirchenmatrone; dann besprach sie sich leise mit ihren beiden Kollegen. Eine Stenographin saß geduldig an einem kleinen Tisch zur Rechten von Alex. Alex vertrieb sich die Zeit damit, die Schuhe der Stenographin zu betrachten. Es waren flache Halbschuhe von Nine West (oder vielleicht Kenneth Coles, wenn sie Geld gespart hatte), jedenfalls ein ganzes Stück billiger als die Manolo Blahniks des Miststücks hinter dem Tisch, das die Verhandlung leitete. Man brauchte nun mal italienisches Leder, um in der Washingtoner Dienstaufsicht Ehrgeiz zu demonstrieren.
    »Special Agent Morse«, sagte die Frau in diesem Augenblick. »Als Ergebnis dieser vorläufigen Anhörung suspendieren wir Sie ab sofort von sämtlichen weiteren Aufgaben, bis Ihr Fall zu einem endgültigen und formellen Abschluss verhandelt wurde. Sie haben Ihren Dienstausweis und Ihre Waffe abzugeben. Jeglicher weitere Kontakt mit dem Bureau hat über Ihren Anwalt stattzufinden.«
    Alex schwieg.
    Die Frau sah zu der Stenographin. »Ich möchte, dass meine nächsten Worte nicht ins Protokoll aufgenommen werden.«
    Die Stenographin hob die Hände von der Maschine.
    »Angesichts Ihrer vorbildlichen Akte«, begann die Blahnikbeschuhte Person, »… abgesehen selbstverständlich von dem Zwischenfall in der Federal Reserve Bank … bedauere ich außerordentlich, dass wir zu diesen Maßnahmen gezwungen wurden. Wenn ich recht informiert bin, wurde Ihnen ein Kompromissvorschlag unterbreitet, der Ihre Entlassung unnötig gemacht hätte?«
    Alex durchlitt die bedeutungsschwangere Pause, die sich an diese Bemerkung anschloss, in stummem Schweigen. Das Triumvirat aus Bürokraten starrte sie eine Ewigkeit an, wie ihr schien. Wie konnte es sein, schienen sie zu denken, dass jemand freiwillig aus der Behörde ausschied, für die sie ihr Leben gaben?
    »Es tut mir leid, dass Sie dieses Angebot nicht annehmen möchten«, sagte die Frau schließlich.
    Alex nahm ihre Handtasche vom Boden, zog ihren Dienstausweis und die Glock hervor, erhob sich, brachte beides nach vorn und legte es vor den Bürokraten auf den Tisch.
    »Nein«, sagte die Frau. »Geben Sie die Sachen nicht uns. Geben Sie die Sachen unten im Erdgeschoss ab.«
    Alex wandte sich ab und ging zur Tür.
    »Agentin Morse!«, rief die Frau hinter ihr her. »Sie werden Washington nicht verlassen, bis diese Angelegenheit voll und ganz geklärt ist! Agentin Morse?«
    Alex verließ den Raum, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Sie war endlich frei, komme, was da wolle. Chris untersuchte einen Patienten mit Verdacht auf kongestive Herzinsuffizienz, als Jane an der Tür klopfte und ihm sagte, dass er dringend ans Telefon kommen sollte.
    »Es ist die Sekretärin der St. Stephen’s, Doktor. Die Middle School.«
    Angst erfasste Chris mit überraschender Wucht. »Ist etwas mit Ben? Ist etwas passiert?«
    »Nichts Schlimmes. Nur Kopfschmerzen, aber sie sind so stark, dass er nach Hause möchte.«
    »Kopfschmerzen?«, wiederholte Chris. »Ich habe auch Kopfschmerzen.« Er ging in den Empfang und nahm den Hörer, den Jane ihm reichte.
    »Dr. Shepard? Hier ist Annie von der St. Stephen’s. Ben hat schon den ganzen Morgen starke Kopfschmerzen. Ich denke, er sollte nach Hause gehen, allerdings weiß ich auch, dass seine Mutter außerhalb der Stadt ist,

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