Leises Gift
deswegen habe ich in Ihrer Praxis angerufen.«
In dieser Stadt weiß jeder alles, dachte Chris. »Hat er Sehstörungen oder etwas in der Art?«
»Ich glaube nicht, nein. Ich weiß nur, dass er in der Pause zu mir gekommen ist, und Ben würde so etwas nicht tun, wenn es ihm nicht wirklich schlecht geht.«
»Ich bin unterwegs. Bitte behalten Sie ihn im Sekretariat, bis ich da bin. Ist er jetzt bei Ihnen?«
»Er ist hier, Augenblick bitte.«
»Dad?«, fragte Ben mit zittriger Stimme.
»Hey, Kumpel. Du hast Kopfschmerzen?«
»M-hm. Ziemlich schlimm.«
»Ich komme dich holen.«
»Wohin bringst du mich? Mom ist nicht zu Hause.«
»Du kannst bei mir in der Praxis bleiben. Miss Holly kümmert sich um dich, okay?«
»Okay.« Die Erleichterung in Bens Stimme war nicht zu überhören.
Chris legte auf und ging zu seinem Büro. Dann hielt er inne, machte kehrt und lief den Flur hinunter zu Tom Cages Büro. Der weißhaarige alte Arzt verabschiedete sich soeben von einem Pharmavertreter.
»Entschuldigt bitte, Leute«, unterbrach Chris das Gespräch. »Tom, ich muss zur St. Stephen’s, Ben abholen. Er hat schlimme Kopfschmerzen. Können Sie die Festung alleine halten, bis ich zurück bin? Meine Behandlungszimmer sind voll.«
»Kein Problem, fahren Sie.«
Chris versuchte sich zu erinnern, wer die Patienten in den Behandlungszimmern waren. »Mr. Deakins sitzt in Nummer drei mit Verdacht auf kongestive Herzinsuffizienz. Ruth Ellen Green in vier mit einer diabetischen Neuropathie …«
»Sie werden mir schon alle erzählen, was mit ihnen ist«, unterbrach ihn Tom Cage mit einem Lächeln. »Fahren Sie, kümmern Sie sich um Ben.«
Während Chris dem alten Arzt die Hand schüttelte, fragte der Pharmavertreter unvermittelt: »Sind Sie der Mann, der Shane Lansing niedergeschlagen hat?«
Chris errötete. Er hatte noch nicht mit Tom über diesen Zwischenfall gesprochen, obwohl Tom es inzwischen sicherlich von dritter Seite gehört hatte. »Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit. Keine große Sache.«
Der Pharmavertreter streckte Chris die Hand hin. »Nun, Sir, ich möchte Ihnen danken. Ich hasse dieses arrogante Arschloch.«
Das waren riskante Worte für einen Vertreter, insbesondere vor zwei anderen Ärzten, doch der Pharmamann wusste wahrscheinlich, dass Tom Cage nicht zu der Sorte gehörte, die derartige Dinge ausplauderte.
»Ich schätze, Lansing hat es herausgefordert«, sagte Tom und zwinkerte Chris verstohlen zu. »Lassen Sie den Mann zu seinem Sohn fahren, Tony.«
Der Vertreter grinste und zog seine Hand zurück.
Während Chris durch den Flur zur Tür ging, hörte er hinter sich, wie der Vertreter den alten Arzt beschwor, irgendein Medikament zu verschreiben, das er an diesem Tag bewarb. »Sie kennen mich, Tony«, sagte Dr. Cage lachend. »Ich nehme mit Freuden sämtliche Proben, die Sie mir dalassen, aber ich werde meinen Patienten trotzdem die preiswertesten Medikamente aufschreiben, die ihnen helfen.«
Chris grinste vor sich hin, während er in sein Büro stürzte, um seine Schlüssel zu holen. Auf seinem Schreibtisch lag Alex’ Mobiltelefon und blinkte. Sie hatte in der letzten Viertelstunde drei Nachrichten auf seiner Mailbox hinterlassen. Während er nach draußen zu seinem Pick-up marschierte, rief er sie zurück.
»Chris?«, fragte sie.
»Was gibt’s?«
»Ich bin erledigt.«
»Man hat Sie gefeuert?«, fragte er ungläubig.
»Ich bin suspendiert bis zum endgültigen Abschluss meines Falles. Aber im Grunde bin ich jetzt Privatmensch. Nicht mehr und nicht weniger als Sie.«
Scheiße. »Was werden Sie jetzt tun?«
»Ich soll vorerst hier in D.C. bleiben.«
»Haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie dort eine Wohnung haben?«
»Ja. Aber ich will nicht dorthin. Ich kann nicht.«
»Was wollen Sie tun?«
»Nach Mississippi zurückkehren und weiter ermitteln.«
»Was hält Sie auf?«
»Sie überwachen meine Kreditkarten. Wahrscheinlich auch mein Mobiltelefon. Sie wissen allerdings nicht, dass ich ein zweites Gerät besitze.«
Chris stieg in seinen Pick-up, setzte zurück und lenkte das Fahrzeug auf den Jefferson Davis Boulevard, während er nachdachte. »Wie schnell können Sie in einen Flieger steigen?«
»Ich könnte auf direktem Weg zum Flughafen fahren.«
»Dann buche ich Ihnen einen Flug. Beziehungsweise, ich bitte meine Sekretärin darum.«
»Chris, Sie …« »Keine Widerrede, okay? Möchten Sie lieber nach Baton Rouge oder nach Jackson?«
»Jackson. Es gibt einen Direktflug von
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