Leises Gift
Tarvers Puls ging mit einem Mal schneller. »Haben Sie die Tastenanschläge aufgezeichnet?«
»Selbstverständlich, Sir. Jeden einzelnen.«
»Faxen Sie sie zu mir herüber.«
»Auf die Nummer, die Sie mir gegeben haben?«
»Nein. Nehmen Sie folgende …« Tarver las die Faxnummer seines Büros in der Universität vor. »Haben Sie mitgeschrieben?«
»Ja, Sir. Ich schicke die Passwörter gleich durch. Aber ich kann Ihnen die Seite jetzt schon sagen, falls Sie einen Blick darauf werfen möchten. Sie nennt sich EX NIHILO. Es ist eine niederländische Seite, und sie hat nur den einen Zweck, Menschen anonym den Zugang zum Netz zu ermöglichen.«
»Klingt vielversprechend.«
»Ja, Sir. Und Dr. Traver?«
»Ja?«
»Dieser Rusk – er vögelt seiner Sekretärin das Gehirn aus dem Schädel.«
»Tatsächlich?«
Nevilles Tonfall änderte sich. »Ich dachte, es würde Sie vielleicht interessieren.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Byrd. Bitte faxen Sie mir die Passwörter durch.«
»Kommen sofort, Sir.«
Tarver legte auf und kicherte vor sich hin.
Zehn Sekunden später starrte er auf den Ereignishorizont des Schwarzen Lochs, der Besucher in der Welt von EX NIHILO willkommen hieß. Ein Klick brachte ihn auf eine Seite, welche die verfügbaren Dienste der Firma auflistete. Es war nicht zu übersehen, dass EX NIHILO genau die Art von Arrangement liefern konnte, für die Rusk nach Tarvers Meinung bezahlte. Gegen entsprechende Gebühren, versteht sich.
Dreißig Sekunden später kam das Fax von Neville Byrd durch. Zwei Seiten mit Tastenanschlägen. Die Schlüssel zu Andrew Rusks Lebensversicherung.
»Mein Gott«, murmelte Tarver, während er mit Hilfe der Passwörter Rusks digitale Fußspuren zurückverfolgte. Es war genau so, wie er vermutet hatte. Rusk musste sich jeden Tag auf der Webseite einloggen und seine Existenz dadurch verifizieren, dass er eine Serie von Passwörtern eingab. Falls er sich zehn aufeinanderfolgende Tage nicht einloggte, würde EX NIHILO den Inhalt einer großen, gepackten Datei an die Mississippi State Police und an das FBI übersenden.
Eldon versuchte die Datei zu öffnen, doch die Webseite gestattete ihm keinen Zugriff. Er fluchte und versuchte es erneut.
Keine Chance.
Er benötigte ein separates Passwort, um die Datei zu öffnen. Offensichtlich hatte Rusk seit ihrer Erzeugung nicht mehr darauf zugegriffen, was bedeutete, dass die Lasersysteme von Neville Byrd ihn nicht beim Öffnen beobachtet haben konnten. Ohne das Passwort konnte Eldon die Datei weder öffnen noch löschen.
Spielt keine Rolle, sagte er sich. Solange er sich regelmäßig einmal am Tag bei EX NIHILO einloggte – als Andrew Rusk –, würde das System seine destruktive Datei nicht an die Gesetzesbehörden weiterleiten, und Eldon wäre in Sicherheit. Er konnte Rusk jederzeit töten, und nichts würde passieren.
Eldon kicherte, lachte, bis er sich schließlich prustend schüttelte. EX NIHILO änderte alles. Indem Neville Byrd, der arbeitslose Software-Ingenieur, ihm die Passwörter gefaxt hatte, hatte er das Damoklesschwert über seinem Kopf beseitigt. Mit diesen Passwörtern konnte Eldon seine Pläne verfolgen, ohne weiter auf Andrew Rusk Rücksicht nehmen zu müssen. Oder ich könnte sie völlig umschreiben, dachte er, und ein Schauer überlief ihn. Mit einem ganz neuen, überraschenden Ende.
Eldon hatte seinen Anteil von Anfang an in ungeschliffenen Diamanten verlangt. Rusk hatte zuerst gemeckert, doch bald war auch ihm klar geworden, wie klug diese Form der Bezahlung war: Im Gegensatz zu Geld waren Rohdiamanten immun gegen Feuer und Wasser. Sie konnten unbegrenzt lange vergraben werden. Wenn sie nicht in ihrem Ursprungsland mit Identifikationsnummern versehen worden waren, konnten man sie nicht zurückverfolgen. Jedes Bargelddepot über mehr als zehntausend Dollar musste den Finanzbehörden gemeldet werden, doch man konnte problemlos zehntausend Dollar in Rohdiamanten im Mund mit sich führen – weitere in anderen Körperhöhlen, ohne dass es unbehaglich geworden wäre –, ohne Gefahr zu laufen, dass man entdeckt wurde. Schön und gut, man konnte Millionen Dollar in einem Bankschließfach aufbewahren. Doch warum das Risiko eingehen? Diamanten ließen sich genauso gut im eigenen Garten vergraben, und niemand konnte einem jemals mit einem juristischen Schachzug den Zugang verwehren. Am besten jedoch war, dass sie aussahen wie Steine. Stinknormale Steine. Eine Schachtel voller Steine!
Eldon lachte erneut.
In den vergangenen
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