Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
sind. Sie tragen spezielle Krankheiten in sich. Sie würden andere Tiere anstecken, und das könnte zu einer Katastrophe führen. Es könnte das Armageddon bedeuten, wie in …«
    »… wie in der Johannesoffenbarung«, sagte Judah automatisch. »Kapitel sechzehn, die sieben Schalen des Zorns. Mein Name steht in diesem Buch.« Sein Tonfall sank um eine Oktave. »›Und der andere Engel goss aus seiner Schale ins Meer; und es ward Blut wie eines Toten, und alle lebendigen Seelen starben in dem Meer …‹«
    »Ganz genau«, unterbrach Eldon ihn mit erhobener Hand, bevor Judah sich in Rage reden konnte. »Und du willst doch wohl nicht von Gott zur Rechenschaft gezogen werden, weil du dafür verantwortlich warst?«
    Nach langem Nachdenken schüttelte Judah den großen Kopf.
    »Ich sage dir, was wir tun«, sagte Eldon, als wäre ihm der Gedanke gerade erst gekommen. »Du kümmerst dich um die Beagles und überlässt die Primaten mir. Ich weiß, wie schwer dir das fallen würde.«
    Judah kaute auf der Unterlippe. »Die Beagles sind auch schwer, weißt du? Ich kenne inzwischen jeden einzelnen und hab jedem einen Namen gegeben.«
    Es erstaunte Eldon immer wieder, dass ein Mann, der so hart war wie Judah, so weich sein konnte, wenn es um Tiere ging. Denn Judah war eine Furcht erweckende Gestalt, wenn man ihn erst einmal wütend gemacht hatte. Er war ein Gegner, der jeden Selbstmordattentäter in die Flucht schlagen konnte. Es waren Männer wie Judah gewesen, die den Japanern Iwo Jima abgenommen hatten. Männer, die sich mit dem Bajonett durch endlose Reihen von Feinden kämpfen konnten und anschließend noch die Kraft besaßen, durch vernichtendes Maschinengewehrfeuer den Berg hinaufzustürmen; Männer, die nicht ein einziges Mal die Befehle infrage stellten, die sie in diese Situation gebracht hatten. Dieser hirnlose Patriotismus hatte Amerika ermöglicht, bis in die Pubertät zu überleben, doch der fortgesetzte Mangel daran sorgte dafür, dass die Nation niemals das Erwachsenenstadium erreichte.
    »Du kannst das nicht wissen«, fuhr Judah fort. »Aber es ist, als wären es alle meine. Wie June Bug, als wir Kinder waren.«
    June Bug war ein alter Köter mit grauem Star gewesen, der fünfzehn Jahre lang bei ihnen gelebt hatte. Judah war vernarrt gewesen in die Töle, bis zum Ende.
    »Es ist wie damals, als Daddy die Kümmerer in der großen Badewanne ersäuft hat«, fuhr Judah fort.
    Eldon legte den Arm um die massigen Schultern seines Bruders und führte ihn von den Primatenkäfigen fort. Es war erstaunlich, dass irgendjemand ihn jemals für den biologischen Bruder von Judah hatte halten können. Intellektuell betrachtet lebten sie in zwei verschiedenen Dimensionen. Eldons Gehirn enthielt wahrscheinlich viermal so viele neurochemische Verbindungen wie das von Judah. Und doch hatte Judah sich im Verlauf der Jahre als nützlich erwiesen, und daran würde sich auch in Zukunft nicht viel ändern.
    Sie waren inzwischen wieder vorne angekommen, bei ihrer kleinen Gemeinde von Beagles, zwei Wände voll schwarzem, braunem und weißem Fell mit traurigen Augen. Judah würde den größten Teil des Tages benötigen, sämtliche Tiere einzuschläfern. Nicht, dass sie Widerstand leisten würden. Ihre Zahmheit und Freundlichkeit waren zwei der Gründe, warum Beagles so gerne in der medizinischen Forschung eingesetzt wurden. Sie sahen einen nur mit vorwurfsvollem Blick an, wenn man Nadeln und Sonden in sie steckte. Sie waren der lebende Beweis dafür, dass die Schwachen die Erde niemals erben würden – zumindest nicht in der Welt der Tiere.
    »Wie wirst du es tun?«, fragte Judah. »Die Schimpansen, meine ich?«
    »Ich werde sie mit einem Barbiturat betäuben. Sobald sie bewusstlos sind, injiziere ich ihnen Kaliumchlorid. Sie werden nichts spüren, Bruder.«
    Judah biss sich so fest auf die Unterlippe, dass Eldon fürchtete, sie würde zu bluten anfangen. »Muss es wirklich Feuer sein?«
    »Wir müssen diesen Ort reinigen. Gott hat Feuer benutzt, also werden wir das Gleiche tun.«
    Judah schloss für einige Sekunden die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah Eldon, dass er es als sein Schicksal akzeptiert hatte. Schließlich war Eldon es gewesen, der ihrem Vater getrotzt hatte, und er war noch am Leben, also war er von Gott gesegnet.
    »Du musst um fünf hier weg sein«, sagte Eldon eindringlich. »Hast du verstanden?«
    »Gehst du fort?«
    »Ich komme zurück, um die Schimpansen einzuschläfern. Aber ich glaube nicht, dass du bis dahin

Weitere Kostenlose Bücher