Leises Gift
beteiligt. Wir wissen, dass man mir eine unbekannte Substanz injiziert hat. Wäre diese Substanz radioaktiv gewesen, hätte ich sie wahrscheinlich bereits auf dem Röntgenbild entdeckt, das ich gestern habe anfertigen lassen. Nein, ich halte es für wahrscheinlicher, dass Peter Connolly recht hat. Irgendjemand hat sich Zugriff auf mein Blut – oder mein Sperma – verschafft, die Zellen verändert und mir wieder injiziert. Wenn es so gewesen ist, halte ich Lansing für einen unwahrscheinlichen Kandidaten. Shane ist mehr an Geld als an Medizin interessiert. Er besitzt überhaupt nicht das erforderliche Wissen für so etwas. Wir haben es hier mit einem Super-Wissenschaftler zu tun, Alex. Mit Leuten, die Experten sind auf dem Gebiet von Knochenmark, Genetik, onkogenen Viren. Es gibt nicht viele von ihnen in diesem Staat, und die wenigen, die wir haben, arbeiten gleich auf der anderen Straßenseite, in der Uniklinik.«
Alex beugte sich in ihrem Sessel vor, Erregung in den Augen. »Wie geht es dir?«
»Geht so. Allerdings sollte ich zuerst eine Dusche nehmen. Ich werde niemanden beeindrucken, wenn ich rieche wie ein Penner, der sich vollgekotzt hat.«
»Gute Idee.« Sie ging zum Telefon auf dem Nachttisch. »Ich bestelle uns etwas zum Frühstück. Kannst du alles essen?«
»Toast und eine Schale Hafergrütze. Und heißen Tee.«
Sie grinste breit. »Du bist der einzige Mann, mit dem ich in den letzten zehn Jahren eine Nacht verbracht habe, der am nächsten Morgen Hafergrütze zum Frühstück wollte.«
»Willkommen zu Hause.«
Andrew Rusk befand sich zehn Meilen südlich von Jackson, als seine Angst zum ersten Mal die kritische Masse erreichte. Noch einige Tage zuvor war es nur ein einziger Wagen gewesen, der ihn verfolgt hatte. Jetzt war es ein motorisiertes Bataillon, das in Schichten operierte. Alles amerikanische Wagen, die meisten Fahrer männliche Weiße zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig Jahren. Andrew steckte in mächtigen Schwierigkeiten. Er verfluchte Alex Morse inbrünstig, als er von der Interstate abbog und den Porsche in die Drive-In-Fahrspur des dortigen Wendy’s Restaurants lenkte. Zwei Wagen folgten ihm.
»Verdammt noch mal!«, brüllte er unbeherrscht.
Vergangene Nacht, nachdem er die falsche Viagra-Spam von Dr. Tarver erhalten hatte, war Rusk in Hochstimmung gewesen. Er wusste nicht, wo Tarver sich herumgetrieben hatte, doch er war sicher, dass der Doktor gute Gründe gehabt hatte, sich so lange nicht mit Andrew in Verbindung zu setzen. Schließlich hatten ihre Treffen in den vergangenen fünf Jahren kaum jemals mehr als fünf Minuten in Anspruch genommen. Vergangene Nacht war ihm diese Fahrt noch wie ein gemütlicher Ausflug ins Jagdcamp erschienen. Jetzt war dieser Ausflug unmöglich geworden. Wenn er diese Hurensöhne in den Regierungslimousinen nach Chickamauga führte, würde Dr. Tarver ohne eine Sekunde des Zögerns zuerst sie und dann ihn töten.
Rusk bestellte sich einen Cheeseburger und eine Cola und beobachtete, wie einer der ihn verfolgenden Wagen auf dem Parkplatz einige Meter entfernt hielt. Was zum Teufel konnte er tun? Wenn sie ihn so lückenlos observierten, hatten sie sicher auch seine Telefone angezapft. Im Büro, zu Hause, seine mobilen Geräte. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob Carson Barnett ihn vielleicht verraten hatte.
Ganz bestimmt nicht, sagte er sich nachdrücklich. Carson wollte raus aus seiner Ehe, und er war bereit, über Leichen zu gehen, um das zu bewerkstelligen. Nein, es war die verdammte Morse. Aber ist es Morse allein? Das war die entscheidende Frage.
Vergangene Nacht hatte Thora Shepard vierzehn Mal bei ihm zu Hause angerufen. Nachdem sie zwei hysterische Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, hatte Rusk das Telefonkabel aus dem Stecker gezogen. Als er an diesem Morgen im Büro eingetroffen war, hatte Janice berichtet, dass eine gewisse Mrs. Shepard zwölf Nachrichten hinterlassen hätte, jede wütender als die vorangegangene.
Thora war nicht so dumm, den Grund ihres Anrufs zu nennen, doch eine innere Stimme sagte ihm, dass es mit Agentin Morse zu tun hatte. Entweder das, oder ihr waren Zweifel gekommen, ob sie ihren Mann töten wollte. Es hätte Rusk nicht überrascht. Die Frau mochte so heiß sein wie ein Filmstar, aber sie war auch genauso überdreht. Eine echte Society-Tussi, kein Zweifel. Sie sah aus, als hätte sie alle Sinne beisammen, doch unter der hübschen Fassade wusste sie nicht, ob sie gerade ging
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