Leises Gift
Pearson ist in der Tat im Augenblick beschäftigt. Warten Sie, ich gehe zu ihm und sehe nach, ob er sich nicht vielleicht für eine Minute frei machen kann.«
Als die Frau im Büro hinter dem Vorzimmer verschwand, flüsterte Alex ihm zu: »Du hast sie ziemlich beeindruckt, wie?«
Sekunden später öffnete die Tür sich erneut, und ein schick gekleideter Mann Mitte vierzig kam mit ausgestreckter Hand auf Chris zu. »Dr. Shepard?«
»Der bin ich, Sir«, sagte Chris, ergriff die Hand und drückte sie energisch. »Erfreut, Sie endlich kennen zu lernen.«
»Ganz meinerseits, Herr Kollege. Ich sehe Ihren Namen auf vielen Krankenakten, die hier durchgehen. Sie überweisen viele Patienten in unsere Klinik. Wir wissen das zu schätzen, danke sehr.«
»Nicht so viele wie früher, da wir jetzt Dr. Mercier in Natchez haben.«
»Es ist immerhin gut für Ihre Gemeinde.« Dr. Pearson grinste. »Hey, Sie haben keine versteckte Kamera am Leib, oder?«
Also hatte selbst Pearson von Chris’ Dokumentation über die Arbeitsbelastung von Ärzten im praktischen Jahr gehört. »Nein«, antwortete er. »Meine Tage als Regisseur sind vorbei. Ich bin inzwischen selbst Teil des Establishments.«
Während der Austausch von Höflichkeiten und das Aufzählen gemeinsamer Bekannter weiterging, musterte Chris den Chefarzt der Hämatologie unauffällig. Obwohl er aus Stanford gekommen war, schien Pearson aus dem gleichen Stoff geschnitzt zu sein wie die meisten angehenden Ärzte, die er während seiner Zeit an der Uniklinik kennen gelernt hatte: intelligente weiße Amerikaner mit klaren Gesichtszügen, die an der Ole Miss oder Millsaps ein glattes Sehr gut erreicht und dann den Staat verlassen hatten, um an einer Universität mit einem bedeutenderen Stammbaum weiterzustudieren und mit Lorbeeren bedeckt nach Hause zurückzukehren. Chris war ein wenig überrascht: In einem rigorosen Spezialfach wie Hämatologie hätte er eigentlich einen Ausländer erwartet.
»Joan hat etwas von einer Anhäufung von Krebsfällen erzählt …«, kam Pearson endlich zur Sache.
»Ganz recht. Aber ich habe meine Manieren vergessen.« Chris drehte sich zu Alex um. »Das ist Alexandra Morse. Ihre Mutter liegt zurzeit in dieser Abteilung. Eierstockkrebs.«
Ein angemessen ernster Ausdruck erschien auf Pearsons Gesicht. »Ich bin mit diesem Fall vertraut«, sagte er. »Es tut mir sehr leid, dass wir uns unter diesen Umständen kennen lernen, Mrs. Morse.«
»Danke sehr«, sagte Alex mit einem so unglaublich breiten Akzent, dass Chris hätte schwören können, dass sie Mississippi noch nie im Leben verlassen hatte. »Sämtliche Ärzte und Pfleger waren einfach wunderbar.«
»Gehört Ihre Mutter zu dieser Gruppe von Krebsfällen?«
»Nein«, sagte Chris. »Alex ist nur eine Freundin. Was die Krankheitsfälle angeht, ich habe noch keine statistische Auswertung, aber wir hatten im vergangenen Jahr mehrere sehr ähnlich gelagerte Fälle, und die Geschichte fängt allmählich an, mich richtig zu beunruhigen.«
»Was für ein Typ Krebs?«, erkundigte sich Dr. Pearson.
»Verschiedene Arten, aber allesamt Formen von Blutkrebs. Leukämie, Lymphome und Myelome.«
Dr. Pearson nickte in aufrichtigem Interesse. »Ich bin überrascht, dass wir das bisher noch nicht selbst festgestellt haben. Wir führen nämlich das Tumor-Register des Staates Mississippi, müssen Sie wissen. Waren diese Patienten hier bei uns?«
»Ein paar. Dr. Mercier hat einige von ihnen behandelt. Andere waren im M. D. Anderson oder in der Dana-Farber-Krebsklinik.«
»Ah. Richtig. Natürlich.«
»Die Sache ist die«, fuhr Chris fort. »Einige meiner einheimischen Kollegen haben sich gefragt, ob es vielleicht einen Umweltfaktor gibt, der diese Fälle miteinander verbindet.«
Neuerliches besorgtes Nicken Pearsons. »Das wäre durchaus möglich«, sagte er. »Es ist natürlich ein sehr komplexes Thema. Und kontrovers obendrein.«
»Ich habe mich außerdem gefragt«, fuhr Chris fort, »ob es zwischen den Fällen möglicherweise die eine oder andere ätiologische Verbindung gibt …«
»Beispielsweise?«
»Nun, ich habe darüber gelesen und bin auf eine Reihe höchst interessanter Möglichkeiten gestoßen. Strahlung ist eine davon. Wir haben zwei Atomkraftwerke in der näheren Umgebung, und zwei der Patienten haben in einem dieser Kraftwerke gearbeitet. Abgesehen davon bin ich fasziniert von der Rolle onkogener Viren bei der Entstehung von Krebs.«
Dr. Pearson blickte skeptisch drein. »Das erscheint mir
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