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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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belederten Griff zu reizen. Er stieß ihr immer wieder gegen das Maul und brachte die Schlange dazu, ihre Fänge zu entblößen und nach dem Schläger zu schnappen.
    Ein scharfer Geruch nach Moschus erfüllte den Raum, ein fremdartiger und doch irgendwie vertrauter Gerach, nachdem Rusk ihn zwei-oder dreimal eingeatmet hatte. Ein primitiver Teil seines Gehirns hatte den Geruch eines gestressten Reptils wiedererkannt – ein sumpfiger Gerach, der Panik in ihm aufsteigen ließ.
    »Sie ist ein furchterregender Killer«, erklärte der Doktor. »Agkistrodon piscivorus. Nicht zu vergleichen mit einer Korallenschlange. Korallenschlangen sind giftiger, was die Dosierung angeht, doch die Wirkungen bei einer Vergiftung sind vollkommen anders. Bei Korallenschlangen erzeugt der Biss Starre, Schweißausbrüche, Atemnot und Betäubung, bis schließlich der Tod eintritt. Bei diesen Babys hier jedoch sind die Konsequenzen viel hässlicher. Das Gift ist ein Hämotoxin, eine komplexe Mischung aus Proteinen. In dem Augenblick, da sie injiziert werden, beginnen sie mit der Zerstörung der Blutzellen und lösen die Gefäßwände auf. Sie zersetzen sogar die Muskulatur. Die Schmerzen sind unbeschreiblich, wie man mir berichtet hat, und die Schwellungen … mein Gott, ich habe gesehen, wie die Haut über einem Biss geplatzt ist. Binnen weniger Stunden setzt Gewebsnekrose ein, und die Haut wird schwarz wie Teer. Es ist eine Erfahrung, die das ganze Leben verändert, Andrew, falls man sie überlebt. Sind Sie sicher, dass Sie Ihre Meinung nicht ändern wollen?«
    Rusk starrte Tarver in völliger Resignation an. Ganz gleich, was der Doktor ihnen versprach – er würde sie in dieser Nacht töten. Zu Rusks Erstaunen nahm ihm diese Erkenntnis einen großen Teil seiner Angst. Er hatte den Tod in der Vergangenheit oft herausgefordert, doch es war stets seine eigene Entscheidung gewesen, meist in Gesellschaft anderer Yuppies auf der Suche nach Nervenkitzel – Burschen, die genau wussten, dass Rettungsprofis ihre Ärsche aus einem Feuer oder von einem Berg herunterholen würden, falls mal etwas schiefging.
    Das hier war anders.
    Das hier war ein Kampf bis zum unausweichlichen Tod, und er hatte keine Verbündeten auf seiner Seite. Was er wusste, war Folgendes: Er war bereit, einen qualvollen Tod zu sterben, doch er war nicht bereit, Eldon Tarver die Früchte von fünf Jahren Arbeit stehlen zu lassen. Rusk wusste außerdem, dass sein neu gefundener Mut nicht auf einem Schwall von Endorphinen basierte, die sich in wenigen Minuten wieder verflüchtigen würden. Irgendwo tief ihn ihm hatte ein Stück Pfadfinder überlebt. Und dieser Pfadfinder wusste, dass die Bisse von Wassermokassins und Klapperschlangen zwar ganz so schmerzhaft waren, wie Tarver sie beschrieben hatte, doch sie führten selten zum Tod. Wenn die Wassermokassin, die sich um Tarvers Arm wand, Rusk in eine Extremität biss, konnte es durchaus sein, dass er bis zum Morgen einen Arm oder sogar ein Bein verlor. Doch er würde nicht sterben. Und darin lag sein insgeheimer Vorteil: Er war bereit, für zwanzig Millionen Dollar einen Arm herzugeben. Denn am Morgen würden die Agenten draußen fragen, wieso er nicht zur Arbeit gefahren war. Und wenn Alex Morse sie so hart antrieb, wie sie es üblicherweise tat, verschafften die Agenten sich vielleicht sogar schon früher Zutritt. Rusk blickte Tarver fest in die Augen. »Die Diamanten sind nicht hier«, sagte er.
    Was als Nächstes geschah, ließ all seine logische Argumentation wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Tarver beugte sich zu Lisa hinüber, klopfte der Schlange zweimal mit dem Schläger auf das Maul und ließ sie los. Die Mokassin schlug blitzschnell zu und erwischte Lisa am Oberkörper. Für eine Sekunde war alles verschwommen. Als der Tumult endete, hatte die Schlange sich fest in Lisas Unterarm verbissen. Lisa sprang vom Sofa auf und schleuderte ihre gefesselten Arme umher, als wäre sie von Dämonen besessen. Endlich ließ die Schlange los, und ihr schwerer Leib wurde gegen eine Reihe Bücher im Regal geschleudert.
    Tarver war blitzschnell über dem Tier. Er lenkte die Mokassin mit dem blitzenden Kopf des Putters ab, packte die Schlange hinter dem Kopf und hob sie hoch.
    Lisa war auf dem Sofa zusammengebrochen und starrte auf zwei punktförmige Wunden in ihrem Arm. Ihr Atem ging schneller und schneller; dann drang Schaum aus ihren Nasenlöchern. Als sie wie in Krämpfen zuckte, fürchtete Rusk, sie könnte einen Herzanfall

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