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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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durchbrochen, um in Rusks Arbeitszimmer einen Schlangentanz aufzuführen. Er wollte die Diamanten. Alle Diamanten.
    »Nein?«, sagte Tarver. »Vielleicht sind Sie ein wenig abgelenkt von meinen Freundinnen hier.«
    Er streckte die rechte Hand aus, bis der Kopf der Schlange nah genug war, um Rusk ins Gesicht zu beißen. Rusks Kehle war plötzlich wie zugeschnürt, und er konnte kaum noch atmen. Die Pupillen der Mokassin waren senkrechte Ellipsen, wie Katzenaugen. Rusk sah die wärmeempfindlichen Gruben. Als spürte sie seine Angst, riss die Mokassin das Maul auf und enthüllte ein weißes Oval mit tödlichen, fünf Zentimeter langen Giftzähnen.
    Der Gestank aus ihrem Maul war widerwärtig – tote Fische und andere namenlose Kreaturen –, doch Rusk war über dieses Stadium hinaus. Als der Doktor ihm die Schlange noch dichter vors Gesicht hielt, flutete der Ozean aus Urin, den Rusk in der Junior Highschool stets erfolgreich zurückgehalten hatte, seine Khakis.
    »Die Diamanten, Andrew«, sagte Tarver. »Wo sind sie?«
    Lisa wimmerte auf dem Sofa ununterbrochen leise vor sich hin, doch Rusk zwang sich, nicht zu ihr zu schauen. Er brauchte jetzt all seine Geistesgegenwart. Er wünschte, Tarver hätte ihm nicht den Mund zugeklebt. Ohne Stimme fühlte er sich ohnmächtig. Er war schließlich Anwalt, ein Magier in der Kunst des Überzeugens – zumindest hatte ein Reporter des Clarion-Ledger mal etwas in der Art über ihn geschrieben. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb Tarver ihm den Mund zugeklebt hatte.
    Blödsinn, sagte die Stimme seines Vaters . Er hat dir den Mund zugeklebt, damit du nicht schreien und das FBI vor der Tür alarmieren kannst. Rusk hasste diese Stimme, doch er wusste, dass sie recht hatte. Es war kein Platz mehr für Illusionen. Dr. Tarver war wieder aufgestanden und drehte sich langsam um die eigene Achse, während er die Arme hob und senkte. Die Bewegung scheint zu bewirken, dass die Schlangen ihn nicht beißen. Vielleicht ist es auch nur Höflichkeit – von einem kaltblütigen Killer zum anderen.
    »Wo sind sie, Andrew?«, fragte Tarver mit seiner Singsang-Stimme. »Möchten Sie eine ganz persönliche Begegnung mit diesen Geschöpfen Gottes? Vielleicht mag Ihre hübsche kleine Ehefrau diese Schlangen ja lieber als Sie.«
    Tarver ging zu Lisa. Sie rollte sich auf dem Sofa in eine Fötushaltung und wimmerte leise, während sie abwechselnd die Augen weit aufriss und fest zusammenkniff, unfähig, das Entsetzen zu ertragen und zu sehr von der Angst erfüllt, sie könnte gebissen werden, während sie die Lider geschlossen hielt.
    »Es sind heilige Geschöpfe, Lisa«, murmelte Tarver. »Sie verkörpern das Leben und den Tod zugleich. Tod und Wiedergeburt. Ich bin sicher, Sie sehen die Schlange im Paradies vor sich, die Eva so leicht verführen konnte …« Er beugte sich vor und liebkoste Lisas Schenkel mit einem schuppigen Schwanz. »Aber das ist eine sehr beschränkte Sichtweise.«
    Der Schrei aus Lisas Brust blähte ihre Wangen und brach sich trompetend durch die Nase Bahn. Noch ein paar Schreie wie dieser, und ihre Nase fängt an zu bluten, dachte Rusk . Sie wird in ihrem eigenen Blut ertrinken.
    Tarver lachte leise, wich zwei Schritte zurück und öffnete mit der Fußspitze einen weißen Beutel. Dann schob er eine der Mokassin-Schlangen hinein, trat mit dem Fuß auf die Öffnung des Beutels und zog sie mit einem Durchziehband zusammen. Dann kam er zum Schreibtisch zurück und wandte sich erneut an Rusk, während er den Kopf der verbliebenen Schlange streichelte.
    »Ich werde das Klebeband von Ihren Lippen reißen, Andrew. Sie werden nicht schreien. Sie werden nicht um Ihr Leben betteln oder das Ihrer Frau. Ich weiß, dass die Steine hier sind. Ich kenne Ihren Fluchtplan, Sie erinnern sich? Ich selbst habe ihn entwickelt. Aber jetzt ist es an der Zeit, sich von diesem Traum zu verabschieden und das nackte Leben zu retten. Seien Sie der kluge Mann, für den Sie sich immer gehalten haben.«
    Er streckte die Hand aus und zog ein paar Zentimeter Klebeband von Rusks Mund. Rusk hatte die Instruktionen noch in den Ohren, war aber nicht imstande, sich daran zu halten. Mit einem trockenen Krächzen sagte er: »Sie werden mich doch sowieso töten, egal was ich tue.«
    Tarver schüttelte in einem Ausdruck des Bedauerns den Kopf, ging in eine Zimmerecke und nahm einen Putter, den Rusk dort aufbewahrte, um das Einlochen zu üben. Indem Tarver den Schläger am Kopf packte, begann er, die Mokassin mit dem

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