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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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legte. In der untersten Schublade des Schreibtisches lag Klebeband. Er schnitt mehrere kurze Stücke ab und klebte sie provisorisch an die Tischkante; dann legte er die Rolle zurück. Er benutzte die Stücke dazu, um die Folie mit der glänzenden Seite nach außen in das nach Osten zeigende Fenster zu kleben. Die Quadrate wären von der auf ihrem Weg durch die Stadt größtenteils hochgelegten Interstate 55 aus deutlich zu erkennen.
    Die reflektierenden Stücke Alufolie waren eine von Glykons Ideen. Die beiden verdammten Quadrate Reynolds Wrap würden ein Treffen einleiten, das Rusk fürchtete wie nie zuvor etwas in seinem Leben. Ein Treffen, das all seine Überzeugungskraft erforderte, wollte er davonkommen. Seine Hand zitterte, als er einen weiteren Tumbler mit Bourbon hinunterkippte.
    Er fühlte sich, als hätte er ein Ritual durchgeführt, um den Teufel zu beschwören.

4
    Chris Shepard ließ den Baseball mitten in der Luft los und schwang den Schläger in einem schnellen Bogen. Er schlug einen Ball auf seinen einszwanzig großen Fänger. Der fing den Ball auf und warf ihn seinem ersten Baseman zu, Chris’ Adoptivsohn Ben. Der Wurf ging zu weit, doch Ben streckte sich und fischte den Ball geschickt aus der Luft.
    »Sehr gut!«, rief Chris. »Ziel auf seine Brust, Mike! Er trägt einen Handschuh, er kann ihn fangen!«
    Der Shortstop nickte und duckte sich, bereit für den nächsten Ball. Bens Augen leuchteten vor Stolz, doch er blieb so cool, wie ein Neunjähriger es nur vermochte.
    Chris warf einen unauffälligen Blick nach rechts, während er auf den Wurf wartete. Zwei Minuten zuvor war Thoras silberner Mercedes auf die Wiese hinter dem freien Stück Land gerollt, auf dem sie trainierten. Sie war nicht ausgestiegen, sondern im Wagen sitzen geblieben und beobachtete das Training durch die getönte Scheibe. Vielleicht telefoniert sie gerade, dachte Chris. Dann wurde ihm bewusst, wie selten Thora in letzter Zeit zum Training gekommen war. Im vergangenen Jahr war sie eine der großen Unterstützerinnen des Teams gewesen und hatte stets den Wasserkühler oder eine Eisbox für jedes Kind dabeigehabt. Dieses Jahr jedoch war sie die seltenste Besucherin. Heute hatte die Neugier sie hergeführt, wie Chris wusste. Anstatt seine abendliche Visite im Krankenhaus früher zu machen, wie üblicherweise während der Saison, hatte er Ben von zu Hause abgeholt, gleich nachdem er seine Praxis geschlossen hatte. Thora war Laufen gewesen; deshalb hatten sie sich verpasst und noch nicht miteinander gesprochen, seitdem er von Spezialagentin Alex Morse besucht worden war.
    Chris winkte zum Mercedes hinüber. Er hatte vermieden, mit Thora zu reden, weil er Zeit brauchte, um zu verarbeiten, was Agentin Morse ihm gesagt hatte, und eine geschäftige Arztpraxis war nicht der geeignete Ort, um über persönliche Probleme nachzudenken. Ein Baseball-Training hingegen war zwar nicht gerade Zen-Meditation, doch er konnte ein bisschen Zeit abzweigen, um über die wenigen Fakten nachzudenken, die Agentin Morse ihm während ihres Besuchs genannt hatte.
    Er wünschte, er hätte ihr mehr Fragen gestellt. Bezüglich der angeblichen Morde beispielsweise. War die Todesursache in jedem einzelnen Fall ein Hirnschlag gewesen? Er bezweifelte, dass Agentin Morse forensische Beweise hatte, die ihre außergewöhnliche Theorie untermauerten. Falls doch, hätte sie nicht seine Hilfe benötigt, um dem Killer eine Falle zu stellen. Sie hätte den Mörder längst verhaftet. Und doch … wenn er ehrlich zu sich selbst war, konnte er nicht abstreiten, in den letzten Stunden über einige Dinge nachgegrübelt zu haben, die ihm insgeheim seit einer Weile zu schaffen machten.
    An erster Stelle war der Kinderwunsch. Während ihrer Verlobungszeit waren er und Thora übereingekommen, dass sie eigene Kinder haben wollten, sobald sie verheiratet waren. Mindestens eins, vielleicht zwei. Chris war sechsunddreißig, Thora dreißig. Je früher sie mit dem Kinderkriegen anfingen, desto gesünder würden diese Kinder werden und desto besser würden sie ihren adoptierten Bruder kennen lernen.
    Nach der Hochzeit jedoch hatte Thora plötzlich mit dem Absetzen der Pille gezögert. Zweimal hatte sie behauptet, versehentlich mit der Packung für den nächsten Monat angefangen zu haben. Als er eine Bemerkung bezüglich dieser ungewöhnlichen Abwesenheit gemacht hatte, hatte sie eingeräumt, dass sie nicht sicher war, ob sie so schnell zu Werke gehen sollten. Chris hatte versucht, seine

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