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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Untersuchung würde genügend Beweise liefern, um ihrer einst so steilen Karriere ein abruptes und endgültiges Ende zu setzen.
    Doch Alex hatte ein gutes Gefühl, was Chris Shepard betraf. Er besaß eine rasche Auffassungsgabe, und das gefiel ihr. Er war ein guter Zuhörer – was bei Männern selten war und bei männlichen Ärzten allem Anschein nach noch seltener, zumindest nach Alex’ Erfahrung. Shepard hatte eine Hexe geheiratet – eine blonde überdies –, doch so etwas passierte vielen anständigen Kerlen. Er hatte gewartet, bis er fünfunddreißig gewesen war, ehe er wieder geheiratet hatte, was bei Alex die Frage nach seiner ersten Frau aufwarf. Shepard hatte im ersten Studienjahr an der medizinischen Fakultät seine College-Freundin geheiratet, doch zwei Jahre nach seinem Abschluss – er hatte soeben ein Engagement im schmutzigen, armen Mississippi-Delta beendet, mit dem er seine Ausbildungskredite zurückgezahlt hatte –, war es zu einer raschen, glatten Scheidung gekommen. Keine Kinder, kein Hickhack, kein Ärger, nichts außer »unüberbrückbare Differenzen«, wie es in den Gerichtsunterlagen hieß. Doch es musste mehr dahintergesteckt haben als das. Wie sonst konnte ein alleinstehender Arzt, der nicht ausgesprochen hässlich aussah, eher im Gegenteil, nach seiner Scheidung beinahe fünf Jahre lang einer neuen Ehe entgehen?
    Diese erste Frau hat eine Nummer mit ihm abgezogen, dachte Alex. Er war eine Zeit lang beschädigte Ware. Das ist auch der Grund, warum er sich an Thora herangemacht hat, die Eiskönigin. Auch diese Frau ist beschädigte Ware, und ich glaube nicht, dass der gute Dr. Chris etwas darüber weiß …
    Zögernd richtete Alex ihre Gedanken auf profanere Angelegenheiten, beispielsweise die Finanzen. Ein freundlicher Bankmensch mochte ihr vielleicht mitteilen, dass der Ausblick nicht ermutigend war, doch ihre eigene Sicht der Dinge war lapidarer: Sie war pleite.
    Es kostet eine Menge Geld, Ermittlungen in einem Mordfall anzustellen, selbst wenn man den größten Teil der Laufarbeit selbst erledigte. Alex bezahlte zwei Detekteien regelmäßig, dazu eine Reihe weiterer Agenturen für kleinere Aufträge. Den größten Teil der Arbeit machte die alte Agentur ihres Vaters, doch obwohl Will Kilmer ihr alle nur möglichen Nachlässe gab, fraßen die Gebühren sie bei lebendigem Leibe auf. Observation war der größte Posten, und »Onkel« Will konnte seine Mitarbeiter nicht ohne Bezahlung ausschicken. Die Zeit, die sie an Alex’ Fall arbeiteten, konnten sie bei anderen Fällen abknapsen, Stunden um Stunden, und die Summen, die täglich zusammenkamen, rissen jedes Mal ein neues tiefes Loch in ihren schmalen Pensionsfonds. Dazu kamen die Rechnungen für Benzin, Flugkosten zwischen Jackson und Charlotte, private Pfleger für ihre Mutter … es war ein Fass ohne Boden.
    Das Apartment in Charlotte war für den Augenblick das dringlichste Problem. Die letzten drei Jahre hatte sie in einer Mietwohnung in Washington D.C. gelebt. Hätte sie die Wohnung stattdessen gekauft – sie hätte sie morgen schon für das doppelte Geld verkaufen können. Doch das war ein Wunschtraum. Wäre sie vernünftig gewesen, hätte sie die Mietwohnung gekündigt, nachdem sie ihre Versetzung erhalten hatte, doch Alex hatte die Wohnung behalten in dem Wissen, dass ihre Vorgesetzten davon erfahren würden. Dass sie ein Symbol ihrer Überzeugung darin erblicken würden, dass sie eines Tages aus ihrer Verbannung erlöst werden würde.
    Doch jetzt hatte sie zusätzlich zu ihrer Mietwohnung in Washington einen Sechsmonatsvertrag für eine Wohnung in Charlotte, in der sie weniger als ein Dutzend Mal geschlafen hatte. Sie hatte die zweite Monatsmiete bezahlt, um den Anschein zu wahren, dass sie eifrig ihre Strafarbeit erledigte, doch sie konnte es sich einfach nicht leisten, so weiterzumachen. Ihre Vorgesetzten würden es herausfinden, wenn sie den Mietvertrag kündigte. Alex dachte über mögliche Ausreden und Erklärungen nach, doch keine davon war geeignet, die Dienstaufsicht zufriedenzustellen.
    »Scheiße«, murmelte sie und warf den erkalteten Waschlappen auf das Bett neben sich.
    Meggie sprang fauchend in die Luft, erschrocken vom nassen Lappen. Alex hatte nicht gesehen, wie sie sich neben ihr auf dem Bett zusammengerollt hatte – und jetzt hatte sie auch noch eine beleidigte Katze, um die sie sich kümmern musste. »Ich an deiner Stelle wäre auch stinksauer«, sagte sie, erhob sich und ging zu ihrem Computer.
    Sie

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