Leitfaden China
gehen zu behaupten, dass schon die Nähe in einer Eigengruppe so weit geht, dass ein gegenseitiges Gefühl der Geborgenheit geschaffen wird, das beträchtlich über Empathie hinausgehen dürfte.
Aus allen oben erwähnten Anforderungen geht hervor, dass persönliche Charaktermerkmale eine wichtige Rolle für den Führungserfolg spielen. Gleichzeitig zeigen die Antworten aber ebenfalls auf, dass der Charakter der Führungsperson unmittelbar in ihre soziale und natürliche Umgebung eingebettet ist. Insofern ist hier Kealey (1996, S. 93) zuzustimmen, wenn er sagt: «Cross-cultural outcomes are a function of both personal and situational factors». Hingegen scheint es nach wie vor problematisch, nach einer Persönlichkeit zu suchen, welche eher für einen allgemeinen, nicht näher definierten internationalen Einsatz geeignet ist, wie dies das Ziel seiner weiteren Ausführungen ist. «The profile of the effective cross-cultural collaborator was presented as a summary … of the core criteria needed to live and work effectively in another culture. This profile goes beyond the identification of personality characteristics … to identify a broader range of cross-cultural skills and knowledge…» (Kealey, 1996, S. 88). Auch die Tatsache, dass er dabei über rein persönliche Faktoren hinausgeht und breitere kulturelle Elemente anzusprechen scheint, ändert nichts daran, dass letztlich kulturspezifisch ausgesucht werden muss. Generell für einen Auslandeinsatz auszuwählen, ohne das spezifische Einsatzgebiet näher anzusehen, genügt ganz offensichtlich nicht, wenn man die Aussagen der Führungskräfte vor Ort ansieht.
Hier zeigt sich dann auch, dass erfolgreiche Führung wahrscheinlich auch eine Ausbildung und eine persönlich-professionelle Entwicklung zur Führungsspitze voraussetzt. Eine Sozialisation in der chinesischen Gesellschaft als Auslandstudent oder junger Mitarbeiter ist wahrscheinlich eine bessere Grundlage für die Auswahl einer Führungskraft für einen Chinaeinsatz, als erfolgreich absolvierte Führungserfahrung in anderen Ländern. Dies dürfte vor allem dann gelten, wenn diese anderen Länder nicht einmal der gleichen Kulturregion angehören.
Aus der Umfrage geht aber auch hervor, wie wichtig die Persönlichkeit der Führungskraft letztlich doch bleibt. Im Zusammenspiel des Umfeldes der heutigen westlichen Gesellschaft, wo individuelle Egoismen immer mehr den Gang der Dinge bestimmen, und dem Hintergrund der starken eigenen Gruppeninteressen in China wird klar, wie gross die Herausforderungen an eine Führungsperson sind. Ethische, moralische, aber auch soziale und professionelle Kompetenz wird verlangt. «Was hier gefordert wird ist physische Fitness, mentale Fitness mit schnellen Reaktionen und ethische Fitness. Auf dieser Basis entsteht der Unternehmenserfolg und damit letztlich auch der persönliche Erfolg», wie sich eine entsandte Führungskraft ausdrückte. Hier nähert sich die Beschreibung der Person natürlich gefährlich der eignungstheoretischen Basis und ihrer fundamentalen Schwäche einer idealistisch definierten Führungsperson. Sie unterstreicht hingegen, wie stark diese Faktoren auch in China zählen, das normalerweise stereotypisch als sehr opportunistisches Geschäftsumfeld eingestuft wird. Wie weit die Realität ein abweichendes Verhalten toleriert, ist selbstverständlich nicht zum Voraus bestimmbar, sondern hängt weitgehend von der jeweiligen Umgebung und der Person selbst ab, die sich darin bewegen und bewähren muss.
Die Umfrage, die ich selbst vorgenommen habe, zeigt weiter die Erwartung der chinesischen Umgebung, dass Führung auch tatsächlich ausgeübt wird. Eine ganze Reihe von Konsequenzen hängt davon ab, ob Führung wahrgenommen wird oder nicht. Mindestens so sehr spielt aber auch die Art eine Rolle, wie dies geschieht. Gerade in China, wo Gesichtsverlust innerhalb der Gruppe ein grosses Problem sein kann, ist Führung deutlicher mit hoher Empathie und guter Sozialkompetenz verbunden. Ganz kritisch wird Führungsverhalten in China, wenn es den Chinesen oder die Chinesin nicht als vollwertig akzeptiert. Die koloniale Haltung eines Europäers zu Beginn des 20. Jahrhunderts würde heute sofort zu Problemen führen. Deshalb ist auch ein paternalistischer Führungsstil nur dann zulässig, wenn er von einer vorbehaltlosen Akzeptanz der Untergebenen ausgeht. Im übrigen kann ein solcher Stil glaubwürdig nur von einer älteren Führungsperson ausgehen, die das Väterliche in
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