Leitfaden Homöopathie (German Edition)
Arzneimittelwahl
Wir müssen davon ausgehen, dass wir bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen das beste Mittel häufig nicht bei der Erstanamnese finden. Sich auf die homöopathische Behandlung psychischer Störungen einzulassen, bedeutet für den Homöopathen – vielleicht noch mehr als bei anderen chronischen Erkrankungen – die ständige Bereitschaft, seine Arzneimittelwahl infrage zu stellen . Eine besonders aufmerksame Beobachtung der Symptomatik des Patienten ist erforderlich, um neu auftretende Symptome, die wichtige Hinweise auf ein noch besser passendes Mittel bedeuten können, nicht zu übersehen. Andererseits sollte man sich den Wechsel eines wirksamen homöopathischen Arzneimittels nicht leicht machen. Immer müssen dabei auch die in der ausführlich und gründlich erhobenen Erstanamnese gefundenen Symptome hinzugezogen werden, sodass sich auch bei der Wahl des besseren Arzneimittels ein stimmiges Bild ergibt.
Nicht selten erlebt man es, dass die Symptome für das richtige Mittel bei der Erstanamnese vom Patienten schon ausgesprochen wurden, der behandelnde Arzt sie aber schlicht nicht erkannt oder übersehen hat. Beharrlichkeit, Fleiß und auch Intuition sind gefragt, um die geschilderten Beschwerden in die entsprechende Repertoriumssprache zu übersetzen (ohne sie zu interpretieren) und durch Materia-medica-Vergleich das passende Heilmittel zu finden.
Die Autoren haben die Erfahrung gewonnen, dass sich viele Homöopathen einfach überschätzen und den individuellen Symptomen des Patienten nicht gerecht werden, wenn sie von „klassischen“
Ignatia
-,
Natrium muriaticum
- oder
Sepia
-Fällen sprechen. Fünf Symptome von
Pulsatilla
oder
Natrium muriaticum
ergeben noch lange nicht das Arzneimittelbild dieser Mittel. (Grüne und blaue Tupfer finden sich sowohl auf Bildern von van Gogh als auch von Picasso, lassen durch ihr bloßes Vorhandensein also keinen eindeutigen Rückschluss auf den Maler zu.)
Der Verschreiber sollte sich deshalb immer Rechenschaft darüber ablegen, ob er seiner Arzneimittelwahl den phänomenologischen Zustand des Patienten zugrunde legt , oder eher bestimmte, ihm besonders geläufige Merkmale den Ausschlag für die Mittelwahl geben. Wenn er seine Arzneimittelwahl nicht immer wieder hinterfragt, läuft er Gefahr, eine willkürliche Auswahl an Symptomen heranzuziehen, nur deshalb, weil diese Symptome gut in ein ihm zufällig bekanntes Arzneimittelbild passen.
Nicht genug kann davor gewarnt werden, mehr oder weniger geniale Analogieschlüsse von bestimmten Symptomen auf grundlegende Charaktermerkmale und Wesenszüge des Patienten zu tätigen. Vielmehr ist es oft erstaunlich, wie genau, fast im Wortlaut der Arzneimittelprüfung, Patienten einzelne Symptome berichten. Der Homöopath sollte sich darüber klar sein, dass ein Symptom nie auf eine Rubrik im Repertorium, sondern auf ein Prüfungs- oder klinisches Symptom der Materia medica verweist. Immer sollte im abschließenden Materia-medica-Vergleich der Versuchgemacht werden, die Totalität der Symptome entweder des aktuellen Zustandes oder seit Beginn der Erkrankung zu finden.
Idealerweise entfaltet sich phänomenologisch in jedem einzelnen Symptom des Patienten der Genius des ähnlichen Arzneimittelbildes . Entscheidend für die Verschreibung kann nie die bloß statistische Anzahl von Rubriken sein, die ein scheinbar treffendes Arzneimittel abdeckt.
Das „Wesen“ der Arznei sollte dem Wesen des Leidens des Patienten entsprechen.
14.12 Potenzwahl und Dosierung
Anmerkung der Herausgeber
Die folgenden Angaben zu Potenzwahl und Dosierung unterscheiden sich in einigen Punkten von den Vorgaben des Theoriekapitels ( Kap. 6 ). Sie spiegeln die persönlichen Erfahrungen der Autoren wider und stellen als solche Modifizierungen der herkömmlichen Dosierungsrichtlinien dar.
Zur Frage nach der nach Wahl der angemessenen Potenz bei der homöopathischen Behandlung von psychischen Leiden kann noch nicht abschließend Stellung genommen werden. Schon Hahnemann hatte das generell sehr unterschiedliche Ansprechen von Patienten auf homöopathische Arzneiverdünnungen beobachtet (vgl. Organon §§ 278, 282) und daraus die Konsequenz abgeleitet, nicht nach starren Schemata zu verfahren, sondern die Arzneimittelgaben und deren Wiederholung an den individuellen Reaktionen des Patienten zu orientieren.
14.12.1 Potenz und Dosierung zu Beginn der Behandlung
Folgendes Vorgehen hat sich den Autoren bewährt:
Das Arzneimittel wird
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