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Leitstrahl für Aldebaran

Leitstrahl für Aldebaran

Titel: Leitstrahl für Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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einem Schlag skandierte; Kinderverse mit vielen lautmalenden, aber sinnlosen Silben folgten, und dabei nahm ihr Klopfen zu, wurde häufiger, offenbarte einen versteckten Rhythmus. Schließlich murmelte sie nur noch inhaltlose Laute, aber jetzt bildeten die Schläge ihrer beiden unterschiedlich klingenden Geräte eine zusammenhängende, sich wiederholende rhythmische Figur. Das war der Punkt, an dem ein anderer einsetzen mußte, wenn die Exerzise weitergehen sollte. Für Gemma war das ein relativer Ruhepunkt, denn sie brauchte jetzt nur zu wiederholen; aber zugleich schwankte sie zwischen Furcht und Hoffnung, ob ihre Vorlage sich als praktikabel erweisen würde - genügend einfach, daß die andern sich hineinhören konnten, und doch genügend kompliziert, daß jeder einen andern Einstieg finden konnte.
    Es war dies auch der Punkt, wo jeder sich auf sich selbst, seine Möglichkeiten, seine inneren Regungen konzentrierte, denn während er horchte und seinen Einstieg suchte, den nur für ihn gültigen und gangbaren, mußte er sich zwangsläufig tief auf sich selbst besinnen, so wie er später sich einfügen mußte, zunächst in die vorgegebene Figur, dann aber in die gemeinsame Erarbeitung derjenigen rhythmischen Phase, die am Ende der Exerzise stehen würde und in der jeder den geeigneten Platz gefunden haben würde, seinen Platz, auf dem seine Individualität mit den Beziehungen im Kollektiv auf die produktivste Weise in Einklang gebracht war. Daß damit eine so unerhörte Steigerung der geistigen Spannweite einherging, wie man sie in früheren Jahrhunderten magischen Kräften zuzuordnen geneigt war, das war eins der noch nicht aufgeklärten Phänomene der Exerzise.
    Als erster mischte sich Rigel in Gemmas Rhythmus ein. Das war zu erwarten gewesen, ihrer Beziehungen wegen, aber auch, weil seine geschickten Hände am schnellsten einem Vorgang den Rhythmus ablauschen konnten, selbst wenn dieser Vorgang nur aus Rhythmus bestand. Mira hörte sofort, daß die Figur durch Rigels Einstieg gleichsam komplett wurde, eigentlich schien nichts mehr zu fehlen, und das bedeutete andererseits, daß nun der Einstieg für sie und Toliman schwer zu finden war. Aber das war schon undiszipliniert, sie durfte jetzt nicht an Toli denken, ihn fühlen, ja, das durfte sie, so wie Rigel Gemma fühlte, aber das ging wohl nicht bei ihnen, sie würden sich kaum so vollständig ergänzen. Und nun weg mit diesen Gedanken, der Figur lauschen - wurde sie nicht immer dichter? Ganz kleine Veränderungen nur bei Rigel, Entwicklungen der eigenen Stimme, und schon schien es fast unmöglich.. ja, jetzt war die Figur dicht, sie mußte sie aufbrechen, wenn die Exerzise nicht scheitern sollte, sie konnte nicht mehr einfach einsteigen, sie mußte eine Gegenfigur aufbauen, das war Erfinderarbeit, das machte ihr Spaß, wie sie plötzlich fühlte. Bei den Übungen war es nie dazu gekommen, eine ernsthaft gestaltete Exerzise mußte zwangsläufig tiefer gehen, viel tiefer - klack, klackklack - jetzt war sie drinnen im Strom der Klopftöne, aber nicht als dazugehörig, nicht eingefügt, oh, es war ja sogar einfacher, eine Gegenfigur aufzubauen, als sich einzufügen in das enge Jackett, das die andern geschneidert hatten. Aber das galt wohl nur für Leute mit Phantasie und hinreichender Widerspenstigkeit.. hinreichend, nein: hinreißend.. hinreißend mußte ihre Figur werden, zunächst für Toli und dann, mit seiner Hilfe, für alle. Übrigens, dachte sie, entspricht diese Konstellation gar nicht der Rollenverteilung in unserem Konflikt, oder doch? Habe ich nicht die richtige Rolle gespielt? Wird sich zeigen, Mädchen, wird sich zeigen, zeig jetzt erst mal selbst, was du bringst. So, jetzt stand die Figur, jetzt lief sie, hier und da noch ein paar kleine Korrekturen, ja, so konnte sie Gemma und Rigel standhalten, wenigstens eine Weile, aber nun mußte Toli.
    Bing - bang - da war er. Nicht ungeschickt. Er taumelte irgendwie zwischen den beiden Figuren herum, als würde er mal hier, mal dort ein Stück mitgerissen, dann aber wieder losgelassen und in den freien Raum zwischen den Figuren zurückgestoßen. Nach und nach merkte man, daß er sich aus eigener Kraft und mit eigenem Willen wieder löste, aber das mußte doch furchtbar anstrengend sein, so als spränge jemand zwischen zwei parallel fahrenden Zügen oder Wagen ständig hin und her. Man mußte ihm entgegenkommen, fühlte Mira und versuchte es; er aber wich dem Entgegenkommen aus, so wie er gleich darauf einem

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