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Leitstrahl für Aldebaran

Leitstrahl für Aldebaran

Titel: Leitstrahl für Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Er übersah freilich, daß man nur Formelemente der Exerzise trainieren konnte, weil wenigstens eine der Grundvoraussetzungen im Übungsfeld zu fehlen pflegte, entweder der feste Wille zur Gemeinsamkeit, oder, häufiger, die tiefe Zerstrittenheit.
    Gemma hatte bei Miras Vorschlag einen Schreck gekriegt. War es wirklich so weit gekommen mit ihnen, daß sie eine Exerzise brauchten, um ihre Arbeitsfähigkeit als Kollektiv wiederherzustellen? Wie sie sich sonst als besänftigendes, ausgleichendes Glied der Mannschaft empfand, so empfand sie einen solchen Zustand als ihre eigene Niederlage, und sie stimmte halbherzig zu, in der verborgenen Hoffnung, das Unternehmen möge sich doch als überflüssig erweisen.
    Sie hatte allerdings nicht mit dem gleich auf die Zustimmung folgenden Vorschlag Miras gerechnet, daß sie, Gemma, die Startführung übernehmen sollte, und das war ein bißchen beschränkt von ihr und eigentlich nur mit der Erschöpfung zu entschuldigen, die die lange Auseinandersetzung mit sich gebracht hatte. Denn man brauchte bei diesen vier Leuten wahrhaftig nicht die Soziomatrix zu erkennen und zu studieren, um herauszufinden, daß Gemma die Person war, die die ausgeglichensten Beziehungen im Kollektiv hatte.
    Im Gegensatz zu anderen psycho-operativen Methoden brauchte die Exerzise keinerlei apparativen Aufwand, dafür aber war ihr Erfolg weitaus mehr vom rückhaltlosen Mittun aller abhängig. Es genügte, wenn jeder zwei Gegenstände zum Klopfen und einen zum Draufklopfen hatte - Stöcke etwa und Tischkanten; im Idealfall verschiedene Trommeln oder andere musikalische Rhythmusinstrumente, denn Rhythmus war alles bei dieser Methode, aber der Idealfall wäre der leichteste gewesen, und je größer die Schwierigkeit, um so nachhaltiger das Ergebnis. Es ist ja überhaupt das Merkwürdige an dieser Methode, daß sie bei aller wissenschaftlichen Durchdringung ihrer Elemente bis heute nicht in einer einheitlichen, zusammenhängenden Theorie erklärbar ist, und das, obwohl sie nun schon hundert Jahre praktiziert wird und in der Regel mit gutem Erfolg. Trotzdem wird auch heute noch gelegentlich die eine oder andere Stimme laut, die der Exerzise ihren Platz in der Urgemeinschaft zuweisen möchte oder an den magischen Feuern alter Priester und Medizinmänner. Aber das waren Rückfälle in eine noch gar nicht so lange vergangene Zeit, da die Wissenschaft von vielen aus dem doch beachtlichen Rang einer Produktivkraft emporgehoben wurde in die Position eines Götzen; da viele Leute noch glaubten, zeitgemäß wäre nur, was sich mit dem Instrumentarium der wissenschaftlichtechnischen Revolution abwickeln ließe, mit Computern, Meßsonden im Gehirn und anderen hochkomplizierten Geräten. Doch im Grunde war das Unglauben an die eigenen seelischen Kräfte gewesen, wenn auch ein verständlicher Unglauben; denn zuerst hatte die Klassengesellschaft überwunden werden müssen, die ständige, imperialistische Bedrohung der menschlichen Existenz, danach die materielle Not in vielen Gebieten der Erde, und erst als der Grundgedanke des Kommunismus verwirklicht war - jeder arbeitet nach seinen Fähigkeiten, jeder erhält nach seinen Bedürfnissen - erst dann konnte die Menschheit ihre volle Aufmerksamkeit der kompliziertesten Form der Materie zuwenden, der menschlichen Psyche, und daraus ungeahnte Kräfte schöpfen - wie ja auch die Kraft, die die vier schließlich befähigen sollte, ihre große Bewährungsprobe zu bestehen, aus der gleichen gesellschaftlichen Quelle strömte. Und wie alles im Kommunismus, geschah auch diese Zuwendung unter Ausnutzung dessen, was die Menschheit im Laufe ihrer vieltausendjährigen Geschichte erkannt und erfahren hatte, was immer sich zum Nutzen der Menschen aufnehmen und weiterentwickeln ließ.
    Antiquierte Bedenken hatten die vier also nicht, und als sie sich zusammensetzten, die unterschiedlichsten Klopfgeräte in den Händen, lag doch eine gewisse gemeinsame Erregung in der Luft, wie sie sie bei den Streitigkeiten der letzten Tage nicht gespürt hatten.
    »Schlagt mal jeder einen Laut«, sagte Gemma, »damit ich euch dann heraushöre - zuerst Toliman, dann Mira, dann Rigel.«
    Tolimans Schläge klangen hell und hart, etwas metallisch vielleicht; Miras Schläge hatten ein hölzernes Klacken, Rigels klangen dumpf.
    Gemma ließ ihre Stöcke wirbeln, damit die andern ihren Klang hören konnten, hielt sie dann wieder still und begann zu sprechen, Gedichte in einigen Altsprachen, die sie hin und wieder mit

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