Leitstrahl für Aldebaran
Aber damit wir uns vorsehen und ihnen nicht auf die Zehen treten, haben sie uns ein Bild von einer Stadt gesandt. Für die sehen wir vielleicht so aus, als ob wir in Städten wohnen, vielleicht ist das für sie eine längst vergangene Kulturstufe gewesen - na, ihr wißt das doch alles besser als ich.«
Toliman sah ihn ein wenig mißtrauisch von der Seite an - ihm war, als werde ihm da in den Mund gelegt zu sagen: also müssen wir doch im Tal bleiben - aber Rigel sah ganz arglos aus. Er meinte das offensichtlich ernst.
»Es wird wohl eher irgendeine Naturerscheinung sein«, beschwichtigte Mira.
»Seht mal richtig hin!« Rigel ließ sich nicht abbringen. »Die runden Gebäude, sehen die nicht aus wie unser Schiff? Und die langen Dinger, die sehen aus wie - wie der Hals von unserem Biest. Oder - oder wie die ALDEBARAN, bloß im verkleinerten Maßstab. Na klar, wenn bei uns zu Hause irgendwelche landen würden, die gar nicht merken, daß es uns gibt, wie würden wir uns ihnen bemerkbar machen? Mit Bildern von uns? Nein, mit Bildern von ihnen, weil sie die erkennen!«
Rigel ließ sich schnaufend zurückfallen. So gestritten hatte er sich noch nie, und etwas verwundert stellte er fest, daß das nicht ohne Reiz war.
»So abwegig das auch scheint«, sagte Mira leise, »wir werden wohl oder übel feststellen müssen, ob das stimmt oder nicht - denn wenn es sie gibt, können wir nicht garantieren, daß die seitlich ausgelenkte Resonanzstrahlung von unserem Leitstrahl ihnen nicht schadet. Wenn es sie gibt, müssen wir Kontakt aufnehmen. Oder sie wenigstens warnen, falls sie keinen Kontakt wollen.«
»Und vielleicht«, spann Toliman weiter, ganz offen in der Absicht, Rigels Mutmaßungen ad absurdum zu führen, »vielleicht sind die schon mal früher auf der Erde gewesen, in Vorderasien, als es da Moscheen und Minarette gab, und nun sind sie so naiv zu glauben, daß unsere Städte immer noch so aussehen. Aber vielleicht ist auch die kleine Sonne selbst ein Raumschiff, das am Überriesen tanken will, und die Anomalie war der Tankschlauch, und der Planet ist so eine Art Versuchsballon. Oder noch besser, sie lassen ihn als Andenken hier. Als Bezahlung oder so ähnlich. Kinder, das ist doch alles Unsinn! Wenn es hier eine Gesellschaft gäbe, und sie wäre auf unserem Stand oder darunter, dann hätten wir ihre Spuren finden müssen. Wenn sie aber weiter entwickelt ist, dann kann sie auch auf eine definitive Weise mit uns in Kontakt treten.«
»Du wirst wohl recht haben«, sagte Rigel, »aber was ist, wenn du nicht recht hast?«
Toliman bemerkte wieder einmal, daß jede weitere Entdeckung, die sie machten, sie zu weiträumigeren Forschungen trieb. Und das ließ ihn, bei aller Klarheit darüber, daß seine Position unhaltbar geworden war, die Folgen fürchten.
Wenn Gebäude, Dinge, Pflanzen ihrer Vollendung entgegenreifen, verändern sie sich in Höhe, Breite und Tiefe, man kann es sehen, beobachten, hören oder mit Meßgeräten feststellen. Entschlüsse haben nur eine Dimension: die Zeit. Ihr Heranreifen läßt sich selten verfolgen, fast nie in den einzelnen, aufeinanderfolgenden Stufen. Vorhin noch war man dagegen, eben noch hat man gezweifelt - und plötzlich sind sie da, sind gefällt, und mit ihnen kommt Sicherheit, kommt Ruhe, kommt Fluß in die Dinge.
Am dritten Tag nach dem Streit sagte Toliman: »Eine Ausweitung unserer Tätigkeit scheint unabweislich geworden zu sein. Laßt uns zusammenstellen, was wünschenswert erscheint, und uns dann unterscheiden, was für die Erfüllung unserer Aufgabe unbedingt nötig ist.«
Das erste war leicht getan, die Liste wurde nicht gar so lang:
- Beobachtung der kleinen Sonne und (wenn möglich) der Anomalie; zu diesem Zweck Einrichtung eines Observatoriums an geeigneter Stelle auf einem der nächsten Gipfel; in Verbindung damit, Versuch einer Wetterprognose.
- Schutz der Energie- und Nahrungsmittelquellen vor biologischen Gefahren; dazu auch Erforschung benachbarter Täler und Berge, eventuell auch angrenzender, andersartiger Biotope; Klärung der Frage, warum im Tal nur gleichaltriger Pflanzenwuchs.
- Möglichst zuverlässige Beantwortung der Frage, ob es hier eine Gesellschaft gibt, die durch Auswirkungen des Leitstrahls gestört werden könnte.
- Herausschaltung des Medicom und von Teilen des Archivs und eines Teils der Rechnerkapazität aus dem allgemeinen Computersystem und Nutzung für die genannten Aufgaben.
Man hätte meinen sollen, daß nun, nachdem prinzipielle
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