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Leitstrahl für Aldebaran

Leitstrahl für Aldebaran

Titel: Leitstrahl für Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Einmütigkeit erreicht war, die Ordnung und Organisation, die Planung und Vorbereitung der Operationen leichter vonstatten gehen würden. Aber das war nicht so - zu lange hatten all diese Fragen die Gestalt von Zweifeln, Wünschen, Befürchtungen getragen. Jetzt traten sie explosiv hervor, jede von ihnen mit dem Anspruch, die allerwichtigste, nein, die allein wichtige zu sein. Nicht die Menschen stellten Fragen, sondern die Fragen bedienten sich der Menschen, trieben sie voran, hetzten sie in Widersprüche, schienen keine Kompromisse zu dulden.
    Sie unterbrachen die Debatte mehrfach, um die notwendigen Arbeiten zu erledigen, aber immer, wenn sie sie wieder aufnahmen, schienen die Widersprüche weiter gewachsen, das Knäuel der Zusammenhänge noch schwerer entwirrbar geworden zu sein.
    Gegen Nachmittag stand Toliman stumm vor der verschlossenen Wanne des Kapitäns, über den Nutzen von Vorbildern nachdenkend. Er hatte immer ein sehr scharfes optisches Gedächtnis gehabt, er konnte sich auch jetzt genau das Gesicht des Kapitäns vorstellen, jeden Ausdruck dieses lebhaften Gesichts in den vielen Situationen, die sie schon gemeinsam erlebt hatten, jede Geste und die winzigen Veränderungen der Körperhaltung und -bewegung, in denen sich bei ihm Gefühle und Stimmungen ausdrückten. Ja, diese optischen Erinnerungen erschlossen Toliman andere, wichtigere: wie der Kapitän Entscheidungen herbeigeführt hatte und welche; was er wichtig genommen und was er mit leichter Hand geregelt hatte.
    Und was nützte ihm diese genaue Erinnerung? Der Kapitän würde selbstverständlich einen Ausweg aus dieser Situation finden. Vielmehr, er hätte sie gar nicht aufkommen lassen. Und wenn sie doch aufgekommen wäre, was hätte er getan?
    Toliman wußte es nicht. Manche ahmten ihre Vorgesetzten nach, in Gebärden, kleinen Gewohnheiten und in der Redeweise, und obwohl Toliman solche Nachahmung immer als lächerlich empfunden hatte, mußte er jetzt denken: Ob nicht vielleicht doch mit den Gesten und den Redewendungen wenigstens eine winzige Spur von der Erfahrung und Sicherheit der Älteren auf sie überging? Er wäre jetzt auch für das kleinste bißchen dankbar gewesen. Er hätte auch in Kauf genommen, daß das den anderen albern vorgekommen wäre.
    Aber es ging nicht: Es kam ihm selbst albern vor.
    Nein, der Kapitän gab keine Antwort, konnte keine Antwort geben. Einen Augenblick lang fühlte Toliman sich schrecklich verlassen, so einsam, als sei er nicht mit drei Gefährten, sondern ganz allein auf diesem Planeten. Und dann fühlte er, daß das ungerecht war. Er war ja nicht allein. Und gab der Kapitän wirklich keine Antwort? Hatte er nicht die einzig mögliche Antwort schon gegeben - damit, daß er die Gefahr gebannt hatte? Und dann damit, daß er ihn, Toliman, mit seiner Nachfolge beauftragt hatte?
    Mit neuem Mut stürzte sich Toliman in die Debatte, schlug Varianten vor, Kompromisse - aber nicht einmal eine Rangoder Reihenfolge konnte aufgestellt werden, immer, wenn sich eine Einigung andeutete, brach wieder einer aus und brachte neue Dringlichkeiten ins Spiel.
    Schließlich sagte Mira erschöpft: »So wird das nichts. Ich glaube, es liegt nicht an der Sache, daß wir uns nicht einigen können, ich glaube, es liegt an uns. Wir streben nicht mehr zusammen, sondern auseinander. Wenn wir aber unser Operationsfeld ausweiten, brauchen wir noch weit mehr als bisher ein Kollektiv, das in Schöpfertum und Disziplin gleich gut funktioniert. Wir sollten morgen früh eine Exerzise veranstalten.«
    Alle waren einverstanden. So ließ sich die heutige Debatte beenden, und man konnte nicht einmal sagen, ergebnislos. Schließlich hatten sie sich über das Hauptproblem geeinigt - vorsichtige Ausweitung des Operationsfeldes, immer mit der Bereitschaft, sich gegebenenfalls, bei schlechten Erfahrungen etwa, sofort wieder auf das Tal zurückzuziehen. Doch Toliman war sich darüber klar, daß diese Festlegung ihre Nücken und Tücken hatte. Zum Beispiel: Was waren »schlechte Erfahrungen«? Ganz sicher würde es auch darüber heftigen Streit geben. Nein, ohne die Festlegung von Prioritäten und Reihenfolgen war diese Einigung nichts wert. Von der Exerzise versprach er sich nicht allzuviel, mehr schon davon, daß alle ihre Meinungen überschlafen würden, was erfahrungsgemäß Verhärtungen löste.
    Rigel war einverstanden, weil er so eine Exerzise für einen großen Spaß hielt - jedenfalls war sie das für ihn immer gewesen, wenn sie sie probiert hatten.

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