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Leitstrahl für Aldebaran

Leitstrahl für Aldebaran

Titel: Leitstrahl für Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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kontinuierlich statt, jedes Körnchen wurde dabei zur Quelle einer Welle, und demnach mußte es Interferenzen geben, die mit der mittleren Korngröße des Staubs zusammenhingen, und die, so ergab die Berechnung, waren - immer, wenn es sie gab - meßbar.
    Mira sah in den Sternenhimmel, suchte den Stern, dessen Namen sie sich gegeben hatte, und betrachtete ihn. Sie fühlte sich beschwingt wie lange nicht mehr, wahrscheinlich belebte die Wirkung der vertrauten Bilder ihren Geist, und sie war plötzlich ganz sicher: Ihr würden noch mehr Möglichkeiten des Suchens, des Beobachtens einfallen. Mochten sie einander widersprechen, mochte die eine Möglichkeit andere ausschließen - um so besser! Je breiter der Fächer, um so wahrscheinlicher ein Ergebnis.
    In das tägliche Leben der Besatzung waren Schwung und freudige Übereinstimmung zurückgekehrt. Die Arbeit war zwar noch umfangreicher und schwerer als früher, wurde aber nicht mehr so empfunden. Sicherlich hatten sie sich zum kleinen Teil daran gewöhnt, daß sie nun in der zweiten Hälfte ihrer Wartezeit waren. Eine nicht unwichtige Rolle spielte aber, es ging dem Ende zu. Vor allem aber spürte jetzt jeder, daß sie auf dieses Ende weit mehr Einfluß nahmen als früher.
    Auch Toliman fühlte sich bedeutend wohler. Hatte er früher seine ganze Aufmerksamkeit, sein ganzes organisatorisches Geschick auf Einschränkung und Einengung gerichtet, was letzten Endes auch bei ihm statt Entfaltung eine Art Verkrampfung hervorgerufen hatte, so war er jetzt, nach der Exerzise und der gemeinsamen Konzeption, mit höchst interessanten Ausweitungen beschäftigt.
    Die erste der in Aussicht genommenen Exkursionen stand nämlich auf der Tagesordnung. Die Panorama-Aufnahmen aus dem Ballon hatten erneute Hinweise auf so etwas wie Gebäude gegeben; leider keine sehr zuverlässigen. Da man in Größe, Höhe und Ausstattung des Ballons begrenzt war, hatte Rigel bei seiner Konstruktion die natürlichen Schwankungen infolge von Windböen und anderen Luftbewegungen ausgenutzt: Die Kamera zeigte immer das Gebirge und die angrenzenden Streifen, aber beim Pendeln zeigte sie mal auf dieser, mal auf jener Seite bedeutend fernere Gebiete. Darunter war dann auch ein paarmal jenes Areal gewesen, das sie als wahrscheinlichen Ursprung der Fata Morgana ermittelt hatten. Dreimal war das geschehen, zu verschiedenen Tageszeiten und bei unterschiedlichen Beleuchtungsverhältnissen, und in zwei Fällen zeigten die Bilder, wenn auch verwischt, Figuren, wie Gemma sie damals gesehen hatte.
    Darin lag wieder etwas von dem, was Toliman vorher so unsicher gemacht hatte: das Ungenaue, das Auslegbare, das man so oder so sehen konnte, aus dem man Argumente für direkt gegensätzliche Schlußfolgerungen ziehen konnte. Beispiel: Weil diese mehrere hundert Meter hohen Gebilde nicht immer zu sehen waren, konnten es also keine Behausungen sein, denn die konnte man nicht zusammenklappen und auseinanderfalten, je nach Bedarf. Oder aber: Weil sie nicht immer zu sehen waren, konnten es keine Naturphänomene sein, denn Erscheinungen von solchem Ausmaß waren nicht so instabil.
    Gewiß, jedes dieser Argumente war widerlegbar, keines zuverlässig, und eben das, und weil es ja auch auf die Anomalie zutraf, hatte Toliman früher in die Einschränkung gedrängt, in die geistige Selbstverstümmelung, wie er es jetzt empfand - denn nun war es ihm wie auch den andern eher Anreiz zur Erkundung. Ein bißchen wunderte er sich selbst, wie leicht ihm dieser Wandel von der Hand ging, und daß er, einmal entschlossen, keine Hemmungen mehr empfand, daß die alten Befürchtungen sich kaum mehr hervorwagten, und wenn, dann kraftlos und unwirksam, fast schon lächerlich; und vor allem wunderte er sich manchmal, daß offenbar seine Autorität bei den anderen ungebrochen war. Aber es blieb ihm nicht allzuviel Zeit, sich zu wundern, und so verstand er noch nicht ganz, daß er den andern etwas voraus hatte: Er war schon einmal durch den Punkt gegangen, wo er eine Ansicht durch ihr Gegenteil ersetzen mußte, und solche Punkte im Leben sind Quellen jener halbbewußten Klugheit, die eben Autorität schafft.
    Dieser Umstand zusammen mit der festen psychischen Zuordnung, die sie sich eingetrommelt hatten, bewirkte viel Positives, in einer Hinsicht allerdings auch Negatives: Toliman und Mira sahen sich in ihren intimen Beziehungen wieder wachsenden Schwierigkeiten gegenüber, die sie nicht verstanden und unter denen sie litten, und das, obwohl Mira schon

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