Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
So nahe Harry und er sich auch standen, der Mann blieb immer noch der Vater der jungen Frau.
Der Marquess zupfte an den Messingknöpfen seiner marineblauen Weste, als sei sie ihm plötzlich zu eng geworden. » Nun, ich kann nicht sagen, dass ich dir einen Vorwurf machen will. Denn ihr zwei habt nicht unbedingt einen vielversprechenden Start hingelegt.«
Ha! Das war wohl stark untertrieben. Genauso gut könnte man behaupten, Waterloo sei nur ein unbedeutendes Geplänkel zwischen rivalisierenden Nachbarländern gewesen. » Das hast du aber vorsichtig ausgedrückt«, meinte Thomas denn auch trocken.
Harry schob den Stuhl zurück und stand langsam auf; Thomas begriff den Wink und erhob sich rasch. Enttäuschung lag auf den Gesichtszügen des Marquess, als er seinem jungen Gast über den mit Federhaltern, eleganten schwarzen Tintenfässern sowie Papier- und Bücherstapeln bedeckten Tisch hinweg die Hand entgegenstreckte.
Thomas empfand mit einem Mal Bedauern. Nicht weil er das Ansinnen abgelehnt hatte, sondern weil er der Bitte nicht guten Gewissens zustimmen konnte. So leid es ihm tat: Solange er sich im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befand, brachte er das nicht fertig. Niemals.
» Ich weiß, dass du mich nicht kränken willst. Obwohl ich gehofft hatte…« Harry lächelte schwach. » Es ist ein Unglück, dass Amelia sich nicht wenigstens einen Mann aussucht, wie du einer bist…«
Thomas betrachtete forschend den Freund, während er seine Hand drückte. Seit sechs Jahren kannte er Harry nun schon und war sich der tiefen Zuneigung des Mannes deutlich bewusst. Aber es konnte doch nicht sein, dass Harry ihm die Frage in der Hoffnung gestellt hatte, dass Amelia und er…?
Er versuchte, dem Gedanken auszuweichen, bevor er in seinem Kopf Gestalt annahm und sich dort einnistete. Schon die bloße Vorstellung war mehr als absurd, wenngleich es Harry zu Jubelschreien veranlassen würde, falls er sich derartige Gefühlsausbrüche überhaupt erlaubte. Eine Verbindung zwischen Amelia und ihm würde ihm nicht nur einen Schwiegersohn bescheren, den er bewunderte und respektierte, sondern der darüber hinaus genügend Standfestigkeit besaß, seine eigenwillige Tochter im Griff zu halten.
Dunkles Gelächter drang Thomas aus der Kehle. » In der Tat, das wäre eine Verbindung, die dem Feuer der Verdammnis Ehre machen würde.«
Harry verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln. » Ja, so scheint es.«
Schweigend gingen die Männer zur Tür des Herrenzimmers und blieben dort stehen. Harry legte die Hände auf Thomas’ breiten Rücken und klopfte ihm zweimal fest auf die Schultern.
» Es sind noch vier Wochen bis zur Abreise. Falls du es dir anders überlegst, lass es mich bitte wissen.«
Thomas bewunderte die Hartnäckigkeit des Älteren. Aber lieber würde er sich an Bord eines Gefangenenschiffs mit unbekanntem Ziel begeben, als sich um diese launische, kapriziöse Lady zu kümmern.
Amelia wusste, dass ihr Vater verärgert war.
Sie verharrten in lastendem Schweigen, seit dieser abscheuliche Mr. Ingles sie keine zwei Meilen außerhalb der Stadt buchstäblich aus der Kutsche gezerrt hatte. Angesichts des Gedränges am Piccadilly und in der Regent Street wären Lord Clayborough und sie besser beraten gewesen, ihre Flucht nach Gretna Green zu Fuß zu beginnen.
Vor einer halben Stunde war sie von ihrem Vater ins Herrenzimmer zitiert worden. Immer noch aufgebracht über die Ungerechtigkeit, drei Tage Arrest in ihrem Schlafzimmer absitzen zu müssen, trödelte sie herum, bevor sie sich ins Unvermeidliche schickte und die Treppe hinunterging, um dem erzürnten Marquess gegenüberzutreten.
Scheinbar unbekümmert stieß sie die Tür so schwungvoll auf, dass sie gegen irgendetwas auf der anderen Seite krachte.
Sie hörte ein dumpfes Geräusch und ein leises Brummen, das wie eine Mischung aus Schmerz und Überraschung klang. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, die Hand immer noch auf dem Türknauf. Du lieber Himmel, was machte ihr Vater da?
Bevor sie den Gedanken zu Ende bringen konnte, schob sich Lord Armstrongs beeindruckende Gestalt in ihr Blickfeld. Mit seinen langen Fingern rieb er sich eine Stelle an der rechten Schläfe, beobachtete sie dabei mit zusammengekniffenen Augen– smaragdgrün unter dichten Wimpern– und durchbohrte sie mit einem Blick, als wolle er sie in die Knie zwingen.
So etwas jedoch widersprach ihrem Wesen, und zwar gründlich. Normalerweise zumindest, denn jetzt machte ihr Herz einen
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