Lelord, Francois
das Gepäck aus, sprang mit einem Satz wieder ins Auto
und durchquerte von Neuem die Furt, und zwar so rasant, dass ein hoher
Wasserschwall aufspritzte und die Kinder zum Lachen brachte. Dann stellte er
den Wagen am gegenüberliegenden Ufer ab. Auch er hatte an ein mögliches
Ansteigen des Flusspegels gedacht.
Unter den
Pfahlbauten erblickte Hector viele andere Kinder, welche die Neuankömmlinge
beobachteten. Gab es denn nur Kinder in diesem Dorf? Aber nein, jetzt sah er,
dass auch Erwachsene unter ihnen waren. Alle Männer trugen die typischen
Männerfarben und alle Frauen die Frauenfarben. Ein barfüßiger Mann lächelte
ihnen zu und grüßte sie mit gefalteten Händen; dann kam er zu ihnen herüber,
um ihnen auf europäische Weise die Hand zu schütteln. Alle anderen folgten
ihm, und plötzlich hatten Hector und seine Freunde jede Menge Begrüßungen zu
erwidern und jede Menge Hände zu schütteln, als wären sie Politiker auf einer
Wahlkampf tour. Allerdings war ihre Freude aufrichtig, denn sie spürten die gute
Laune und die Gastfreundschaft der K'rarang die ihnen alle zulächelten - die
Ältesten mit ihren vom Betelkauen schwärzlich rot verfärbten Mündern, die
Kinder mit ihren reizenden Zähnchen. Die kleinen Mädchen hatten alle den
gleichen kantigen Haarschnitt, der ihnen das Aussehen von Schülerinnen eines
teuren Internats verlieh, und dieser Eindruck verstärkte sich noch, als sie zum
Gruß nicht nur die Hände falteten, sondern auch einen graziösen Knicks machten
- kleine Prinzessinnen an einem Hof voller Barfüßiger.
»Sie
sollten dort nicht stehen bleiben. Die Sonne brennt selbst durch die Wolken
hindurch.« Ein Europäer in kurzärmligem Hemd und Hose hatte das zu ihnen
gesagt. Er war ungefähr in ihrem Alter, und die Hitze schien ihm gar nichts
auszumachen; vielleicht lag es an seiner gesunden Magerkeit. Mit seinem langen
Gesicht, seinen hohlen Wangen und den leuchtenden grauen Augen unter
sonnengebleichten Brauen ähnelte er ein wenig einem Mystiker, der gleich etwas
weissagen wird, aber sobald er sprach, verscheuchte die Schlichtheit seiner
Stimme diesen Eindruck. Und als hätten sie nur auf sein Zeichen gewartet, kamen
die Kinder jetzt etwas näher, wahrten aber immer noch einen gewissen Abstand.
»Sie sind
noch ein bisschen scheu«, meinte der Mann. »Sie sind es nicht gewohnt, so viele
Fremde zu sehen. Auch wenn sich durch den Film natürlich ...« Und er erklärte
ihnen, dass das Filmteam auf einer Lichtung jenseits des Hügels ein Zeltlager
aufgeschlagen hatte.
»Sie
wollten auch Leute im Dorf unterbringen, und ich habe ein bisschen kämpfen
müssen ...« - er lächelte -, »um ihnen klarzumachen, dass die Menschen hier
eine gewisse Ungestörtheit lieben. Eigentlich habe ich ihnen nur den Wunsch
des Dorfrats ausgerichtet, ich bin ja hier nicht der Chef, sondern nur der
Pfarrer. Pater Jean.«
»Leben Sie
schon lange hier, Hoch würden?«, fragte Valerie.
Aus der
Ungezwungenheit, mit der sie das »Hochwürden« über die Lippen brachte, schloss Hector,
dass Valerie ihren Glauben praktizierte.
»Fünf
Jahre sind es inzwischen. Der frühere Pfarrer, Pater Robert, war gerade
gestorben. Er hatte hier 32 Jahre lang gewirkt, und die Leute schienen ganz
verloren.«
»Hatte er
einen Unfall?«
»Nein, ein
tückisches Fieber. Er ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Er war
78 Jahre alt.«
»Malaria?«
»Man hat
es nicht herausfinden können. Wissen Sie, es gibt hier so viele Viren ...«
Als sie
sich einem Haus näherten, erblickte Hector das an einem Pfahl befestigte Foto
eines Mannes, der einen sanften und gelassenen Gesichtsausdruck hatte und eine
altmodische Brille trug. Auf einem kleinen Altar, der aus einem senkrecht
aufgestellten Rundholz gemacht war, brannte eine Kerze aus rotem Wachs: Pater
Robert.
Sie
stiegen eine Treppe hoch und gelangten ins Wohnzimmer von Pater Jean, einen Raum,
der die vordere Hälfte des Hauses bildete und zu den Seiten hin offene Fenster
hatte. Mit einer vorsichtigen Bewegung schaltete der Pater einen alten
Ventilator ein, der hin und her schwenkte und die Luft im Zimmer durch
wirbelte. Jedes Mal, wenn er sich von ihm wegdrehte, wartete Hector schon
sehnsüchtig auf die Rückkehr des Luftzugs. Der Strom kam von einer kleinen
Turbine, die man im Fluss installiert hatte. Das Zimmer war ganz karg eingerichtet,
es gab nur einen Stapel Rechnungen und ein paar Schulhefte auf einem Tisch aus
schlichtem, rohem Holz, und an der Wand hing neben einem
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