Lelord, Francois
war Hector endlich
klar, was sie die ganze Zeit über getragen hatte: kein ultrakurzes Kleid,
sondern ein ultralanges Polohemd.
Das Klassenzimmer
befand sich in einem etwas größeren Haus, das weiter oben am Hang lag. Auf der
Schwelle wurden sie von zwei jungen Frauen mit langen Zöpfen erwartet. Sie
waren ein paar Jahre auf das Gymnasium jener Region gegangen und hatten jetzt
die Rolle von Grundschullehrerinnen übernommen und brachten den Kindern bei, in
ihrer eigenen Sprache zu schreiben, außerdem in der Landessprache, die eine
ganz andere Schrift hatte. Und auch ein wenig Englisch lernten sie, wobei die
Ankunft der Lady den Unterricht bereichert hatte: Jetzt lernten sie singend
Englisch.
Die
Kinder, etwa dreißig Mädchen und Jungen zwischen fünf und zwölf Jahren, saßen
still und brav da, und ihre kleinen braunen Gesichter waren angespannt vor
Aufmerksamkeit, wenn sie auf die Lady und Hector schauten. Aber sobald die Lady
eine Melodie zu summen begann, lächelten alle so sehr, dass es den Raum
erhellte - es war für sie jedes Mal wie ein Wunder.
»Old MacDonald
had a farm ...«
»Old
MacDonald had a farm«, antworteten die kleinen Stimmen
beglückt, und die beiden jungen Frauen schrieben den Text des Liedes an die
Tafel.
Hector beobachtete
die Lady. Sie hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen und blickte mal ins
Leere, mal auf die Kinder, um sie zum Singen zu ermuntern. Man hatte den
Eindruck, dass sie einen Glückszustand erreicht hatte, den sie nicht mehr
verlassen wollte.
Die Kinder
wussten natürlich nicht so genau, wer sie war, aber schließlich war sie nicht
umsonst ein Star - selbst hier, wenn sie in einem Klassenzimmer mit
Bretterwänden mitten im Dschungel ein Kinderlied sang, rührte sie etwas auf,
das die Luft im ganzen Raum zum Flimmern brachte.
Hector trinkt ein Glas Wein mit Freunden, Buddha und dem
heiligen Thomas von Aquin
Beim Abendessen saßen sie alle mit Pater Jean zusammen - außer
der Lady, die eine Nachtszene drehen musste. Ihre Abwesenheit konnte man
spüren, ganz als hätte sie die Fähigkeit, ein Vakuum zurückzulassen, das die
Gedanken automatisch wieder auf sie lenkte. Der Generator war für Hector und
seine Freunde angeworfen worden, und während das übrige Dorf schon lange
schlief, erhellte eine schwache Glühbirne ihren Tisch. Die K'rarangfrauen
hatten ihnen Salate aus exotischen Gemüsesorten zubereitet, dazu eine Menge
Reis und eine Art Wildragout. Pater Jean erklärte, dass es sich um Heisch von
einer Hirschkuh handele, eine Speise, mit der die Gäste geehrt werden sollten,
denn meistens kamen die Jäger eher mit Eichhörnchen nach Hause oder sogar mit
Ratten. Hector und seine Freunde hatten aus der Stadt der Engel ein paar
Haschen kalifornischen Shiraz mitgebracht, deren Anblick Pater Jean sehr
erfreute.
»Sehen
Sie«, sagte er, »heute Abend darf ich der Versuchung endlich mal nachgeben.
Eine Flasche Rotwein und Freunde, die meine Muttersprache sprechen.«
Brice
wirkte befangen, als fürchtete er sich vor einem weiteren tiefschürfenden
Gespräch mit Pater Jean. Valerie hingegen schien ganz in ihrem Element zu
sein: Sie hatte den Nachmittag damit verbracht, mit den K'rarangfrauen zu sprechen,
denn auch wenn sie deren Sprache nicht richtig konnte, so beherrschte sie doch
eine verwandte, und überhaupt lernte sie schnell dazu.
Hector fühlte
sich wohl; er glaubte sich endlich an die Hitze gewöhnt zu haben - bis das
erste halbe Glas Shiraz ihm den Schweiß aus allen Poren trieb.
Pater Jean
fragte Valerie, welchen Eindruck sie vom Dorf habe. Er wusste, dass sie auch
andere Dörfer kannte, in denen die Leute unter ähnlichen Umständen lebten.
»Die
Frauen wirken ziemlich glücklich auf mich«, sagte sie. »Natürlich ist es eine
Subsistenzwirtschaft, aber anscheinend stellt sie alle einigermaßen zufrieden.«
»Genau«,
sagte Pater Jean. »Ihre Lebensumstände haben sich sehr verbessert. Wenn sie
krank sind, können sie in die Ambulanz unserer Region gehen und dort sogar
ihre Babys zur Welt bringen. Durch die Schule, die wir hier eingerichtet haben,
erhalten ihre Kinder ein wenig Bildung. Und auf dieser Seite der Grenze haben
sie auch das Gefühl, in Sicherheit zu sein.«
»Gesundheit
und Sicherheit«, sagte Hector, »das sind die beiden Grundzutaten des Glücks,
vor allem wenn man schon das Gegenteil erlebt hat.«
»Natürlich
sind sie immer noch sehr arm«, meinte Valerie. »Für das ganze Dorf gibt es nur
zwei Mobiltelefone, und um Empfang zu
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