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Lelord, Francois

Lelord, Francois

Titel: Lelord, Francois Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hector
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auf
einen Schemel gesetzt, gleich neben dem Ventilator, den sie bei seiner Ankunft
eingeschaltet hatte. Das Haus wirkte größer als das von Pater Jean (immerhin
war sie ja die Lady), aber es bestand auch aus zwei Zimmern - der Wohnstube,
deren hölzerner Balkon auf den Fluss hinausging, und einem Schlafraum, in den
Hector durch die halb offene Tür spähen konnte und der zur bewaldeten
Bergflanke hin lag. Auf dem niedrigen Bett, das eigentlich mehr ein Stück
Fußboden auf Beinen war und auch keine richtige Matratze hatte, sah er ein ziemliches
Durcheinander von Unterwäsche und ungebügelten Kleidungsstücken.
    »Die
kleinen Alltagspflichten helfen mir durchzuhalten«, sagte die Lady, als sie die
Teekanne brachte. »Von den Wohnwagen auf dem Set habe ich die Nase voll, die
sind wie ein Hotel, bloß ein paar Sterne schlechter.«
    Sie setzte
sich ihm gegenüber auf eine Matte, wobei sie die Beine auf asiatische Weise
kreuzte, und Hector musste sich zusammenreißen, um nicht auf ihren Slip zu
starren, dessen Weiße wie ein Symbol jener Reinheit war, die die Lady wiederzufinden
suchte. In einer Ecke des Zimmers bemerkte Hector eine zusammengefaltete Decke
auf einer zweiten Schlafstätte.
    »Meine
Assistentin«, sagte die Lady. »Ihr gefällt das Leben hier auch. Außerdem ist
sie sehr katholisch.«
    Hector erinnerte
sich, dass die Assistentin von den Philippinen stammte. Sie musste
außergewöhnlich ausdauernd sein oder außerordentlich
verständnisvoll, um all die Stimmungsumschwünge der Lady zu ertragen. Wenn Hector
daran dachte, wie aggressiv die Lady ihm gegenüber manchmal war, wollte er sich
lieber nicht vorstellen, wie sie in schlechten Momenten mit einer Assistentin
umsprang.
    Sie
begannen so etwas wie eine Sitzung, nur dass die Verhältnisse irgendwie auf
dem Kopf standen. Diesmal war Hector zur Lady gekommen und nicht umgekehrt,
und wenn sie den Ventilator in seine Richtung drehte, schien sie ihm damit
besondere Huld zu erweisen. Die unprofessionelle Situation löste bei Hector ein
gewisses Unbehagen aus.
    »Haben Sie
Pater Jean schon getroffen?«, fragte sie.
    »Ja, aber
er ist gerade wieder abgefahren.«
    »Ein
wunderbarer Mann!«, sagte die Lady mit leuchtenden Augen. »Er versteht einfach
alles.«
    Hector befürchtete,
dass diese Anhimmelungsphase von einer anderen abgelöst werden würde, die
ebenso heftig war, aber in die entgegengesetzte Richtung ausschlug.
    »Wie
können Sie eigentlich überhaupt den Anspruch erheben, den Leuten zu helfen,
ohne sie zum Glauben aufzufordern?«
    »Das ist
nicht mein Metier«, sagte Hector. »Dafür gibt es Pater Jean und seinesgleichen.
Wir teilen uns die Arbeit.«
    »Das ist
doch absurd!«, sagte die Lady entrüstet.
    »Moment
mal ... Inwiefern kann Ihr Glauben Ihnen helfen?«
    »Aber ich
weiß doch gar nicht, ob ich einen Glauben habe!«
    »Haben Sie
nicht eben noch gesagt, dass Pater Jean ...«
    »In seiner
Gegenwart glaube ich, dass ich glaube ... Aber bei Ihnen ...« Und sie musterte Hector
mit einem zweifelnden Blick.
    Hector beschloss,
dieses heikle Thema schnell zu verlassen und lieber zu den aktuellen Problemen
zu kommen. »Wie geht es Ihnen, seit wir am Telefon miteinander gesprochen
haben?«
    »Hier im
Dorf geht es mir besser, hier erwartet niemand etwas von mir. Die Kinder freuen
sich einfach, wenn ich sie besuchen komme; sie wissen nicht mal, dass ich
berühmt bin;
    das
Fernsehen ist noch nicht bis in dieses Dorf vorgedrungen. Außerdem habe ich in
diesem Haus meine Ruhe - und zugleich fühle ich mich auch nie allein.«
    Durch das
Fenster konnte Hector sehen, wie die Dorfbewohner ihrem Alltag nachgingen: Sie
holten Wasser, wuschen ihre Kleider, legten im Fluss Reusen aus oder ernteten
an den Abhängen den letzten Bergreis. Es stimmte schon, in diesem Dorf konnte
man allein sein, ohne sich allein zu fühlen. Hector hatte auch neben der
Schlafdecke der Assistentin jene Zeitschrift gesehen, auf deren Titelseite die
Lady den reizenden kleinen Kindern gerade die Arme entgegenstreckte.
    »Aber
sobald ich wieder bei den Dreharbeiten bin, wird es schauderhaft. Die
Erwartungen an mich sind viel zu hoch. Ich hasse die Rolle inzwischen.«
    Hector hatte
noch im Ohr, wie enthusiastisch es geklungen hatte, als die Lady ihm zum ersten
Mal von dieser Rolle erzählt hatte.
    »Aber
jetzt muss ich gleich in die Schule«, sagte sie plötzlich. »Kommen Sie doch
mit, und schauen Sie sich das mal an.«
    Sie verzog
sich ins Schlafzimmer, um sich eine Jeans anzuziehen, und damit

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