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Lelord, Francois

Lelord, Francois

Titel: Lelord, Francois Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hector
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Christentum oder zum Buddhismus
bekehren. Sie sehen mit Staunen, dass Opfer gar nicht notwendig sind und dass
in den Dörfern, wo nicht mehr geopfert wird, auch keine Katastrophen passieren.
Sie werden von ihrer Angst erlöst.«
    »Ganz
ähnlich hat mir das auch Pater Jean erzählt.«
    »Pater
Jean ist ein heiliger Mann. Obwohl uns eine Grenze und zweihundert Kilometer
Dschungel trennen, höre ich bis in unser Dorf von ihm reden. Aber Wunder lässt
er nicht geschehen ...«
    »Anders
als du mit dem Elefanten.«
    »Sieh
selbst und urteile selbst.«
    Edouard
verstummte und schloss die Augen. Hector hatte den Eindruck, dass er kurz vorm
Einschlafen war. Sobald das Feuer seines Blickes und seiner Worte erlosch,
wurde sein äußeres Erscheinungsbild eines ausgemergelten Greises wieder
übermächtig.
    »Und das
Fasten?«, fragte Valerie.
    »Fasten
ist für mich notwendig.«
    »Wenn ich
mich recht erinnere, hat sogar Buddha mit dem Fasten aufgehört«, meinte Hector.
»Erst hat er gefastet, bis er beinahe daran gestorben wäre, und dann hat er
befunden, dass es nicht der rechte Weg ist, oder?«
    Edouard
seufzte. »Für mich ist es notwendig zu fasten ... um gewisse Begierden
abzutöten.«
    Was sollte
man darauf antworten, fragte sich Hector, als er den Weg zu ihrem Haus hinanstieg.
Edouard hatte ein Mittel gefunden, um gegen die Folgen der »natürlichen
Auslese« anzukämpfen. Bloß dass er sterben würde, wenn er weiter so fastete.
Jede neue Stufe des Fastens brachte wahrscheinlich seine sexuellen Begierden
zunächst zum Erlöschen, aber dann gewöhnte sich der Körper daran, die Gelüste
stellten sich wieder ein, er ging zu noch strengerem Fasten über, um sie erneut
abzutöten, und gleichzeitig ruinierte er damit seinen Körper noch ein bisschen
weiter. Hector war es wohlbekannt, dass man durchs Fasten zu einer
außergewöhnlichen Klarheit des Geistes gelangen konnte und dass es für manche
Menschen praktisch zu einer Droge wurde, an der sie - wenn auch in einem
Zustand der Ekstase - starben.
    Aber war
aus Idwas Blickwinkel nicht ohnehin alles unbeständig und eine Wiedergeburt
unvermeidlich? Auch wenn Hector das alles verstand, er wollte Edouard trotzdem
davon überzeugen, wieder zu essen.
    Und warum
nahm er sich eigentlich keine Frau? Hector erinnerte sich an einen Satz aus
seiner eigenen Religion: Jene, die nicht in Keuschheit leben können, sollen
eher eine Frau nehmen, denn zu verbrennen. Später öffnete er sein Notizbüchlein
und schrieb:
     
    Beobachtung
Nr. 17: Ein Freund ist jemand, der dich daran hindert, zu weit zu gehen.
     
    Aber ob
man das auch auf Brice anwenden konnte?
     
    Hector versucht es mit einer Sitzung
     
    In der Dämmerung des nächsten Morgens ging Hector nicht
mit Idwa meditieren. Er blieb bei der Lady. Brice hatte ihr am Vorabend so
lange zugehört, bis sie eingeschlafen war. Dann hatte er Hector gesagt, er sei
nicht mehr sicher, ob sie wirklich eine bipolare Störung mit Rapid-Cycling-Verlauf
habe; vielleicht war sie einfach eine Borderline-Persönlichkeit (sofern das
Wort »einfach« sich auf die Lady überhaupt anwenden ließ). In jedem Fall war
Brice der Meinung, dass ein Stimmungsstabilisator ihr helfen könnte. Hector
wollte es nach seiner Rückkehr mit einem solchen Medikament versuchen, aber
hier im Dschungel hatte er nichts zur Hand.
    Es sei
denn, er bat die Varak Lao um eine Kugel Opium ... Idwas Anstrengungen zum
Trotz hatten sie bestimmt noch irgendwo ein kleines Mohnbeet für den Eigenbedarf
behalten. Hector war sich sicher, dass die Lady schon längst daran gedacht
hatte, denn sie musste wissen, dass sie sich im Goldenen Dreieck befanden, das
übrigens kein Dreieck war und für die Mohnbauern auch immer weniger golden, für
die Produzenten von synthetischen Amphetaminen dafür aber desto mehr.
    Hector
hatte also wieder seinen Posten an der Seite der in Tränen aufgelösten, ganz
vernichteten Lady bezogen. Er bedauerte es, Maria-Lucia nicht bei sich zu
haben. Sie war Edouard zum Meditieren gefolgt - gemeinsam mit Brice, Valerie
und allen Varak Lao, die nicht gerade Bergreis ernteten oder im Fluss fischten.
    Die
Reaktion der Lady auf Idwas Weigerung, ausführlicher mit ihr zu sprechen, gab
gutes Material für eine Sitzung ab. Die Szene war eine Neuauflage dessen, was
sich im Leben der Lady so oft wiederholt hatte: spontane Idealisierung einer
Person - Wunsch nach sofortiger Nähe - dann Zurückwei sung, sei
es durch die Lady, die Intimität nicht lange ertragen konnte, oder durch

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