Lelord, Francois
die
andere Person wie - zumindest in ihrer Wahrnehmung - in diesem Fall Edouard.
Doch wenn Idwa zu jemandem sagte »Heute nicht...«, stieß er ihn damit nicht von
sich. Er selbst hatte wahrscheinlich Wochen oder Monate warten müssen, ehe er
manche Meister treffen konnte. Man musste mit der Lady also in zwei Richtungen
arbeiten: Zunächst sollte ihr bewusst werden, dass Idwas Distanznahme keine
Zurückweisung bedeutete, und dann war zu ergründen, weshalb sie schon durch
eine so klitzekleine Ablehnung in einen solchen Zustand geriet.
Obgleich
Hector sich redlich mühte, ein Gespräch anzubahnen, hörte die Lady nicht zu
weinen auf; ihr emotionaler Zustand schien gänzlich außer Kontrolle geraten zu
sein. Das wiederholte sich in letzter Zeit ein wenig zu oft, und er fragte
sich, ob es nicht die Anfänge einer handfesten depressiven Episode waren. In
diesem Fall dürfte man die Lady keinen Augenblick mehr allein lassen, denn Borderline-Persönlichkeiten
neigen bekanntlich zu impulsiven und spektakulären Selbstmorden.
Plötzlich
standen zwei Männer im Eingang der Hütte. Es waren keine Varak Lao. Sie trugen
Tarnanzüge. Und hatten Sturmgewehre bei sich. Und Handschellen. Und hielten Hector
und der Lady Elektroschocker, die mit einem Knistern kleine Funken ins
Halbdunkel sprühten, vor die Nase, um den beiden verständlich zu machen, dass
jeder Widerstand zwecklos war.
Hector im Wald
Hector verstand die Sprache nicht, in der Leutnant Ardanarinja
redete oder vielmehr fauchte, aber es war klar, dass sie ihre Soldaten
zurechtwies, und zwar mit einer Wut im Blick und einer rauen Stimme, wie er es
bei ihr noch nicht erlebt hatte. Sie sah umwerfend aus in ihrem Tarnanzug - die
perfekte Verkörperung eines Bond-Girls, und bestimmt hätte sie den Schuljungen
Hector zum Träumen gebracht. Im Moment aber konnte er den Anblick nicht so
richtig würdigen, denn er saß in Handschellen am Fuß eines Baumes und hatte das
Gefühl, dass ihm Ameisen in die Hose gekrochen waren.
Die andere
wütende Person war die Lady. Sie schwieg zwar, aber Hector war klar, dass ihr
Schweigen nichts Gutes verhieß: Er sah die verächtlichen Blicke, die sie den
Soldaten zuwarf - und auch ihm, weil er sie nicht davor bewahrt hatte, ihrem Psychiater
in Handschellen gegenüberhocken zu müssen. Unter dem Blätterdach des Waldes
herrschte noch das Halbdunkel der zurückweichenden Nacht, aber wenn man den
Blick hob, konnte man sehen, wie die ersten Sonnenstrahlen die Berggipfel
erhellten.
»Ich wollte
nicht Sie, sondern Ihren Kollegen«, sagte Leutnant Ardanarinja, als sie sich
schließlich Hector zuwandte. »Und statt der da wollte ich Ihre Freundin.«
Hector
begriff, was geschehen war. Am Vorabend war Brice bis nach Einbruch der Nacht
mit Valerie in Edouards Hütte geblieben, und die Soldaten mussten daraus den
falschen Schluss gezogen haben, dass man die zwei auch noch am frühen Morgen
dort vorfinden würde. Weil der Einsatz schon vor Tagesanbruch erfolgen musste,
hatten sie nicht gesehen, dass alle beide noch im Dunkeln mit Idwa zum
Meditieren aufgebrochen waren. Und dass Asiaten, die in ziemlicher Entfernung
auf der Lauer gelegen hatten, die Lady und Hector mit Valerie und Brice
verwechselten, war nicht weiter verwunderlich.
»Ich
verstehe, warum Sie wütend auf Ihre Leute sind«, sagte Hector, »aber trotzdem
scheint mir das Ganze eher ein Kommandofehler zu sein.«
Leutnant
Ardanarinja machte einen schnellen Schritt auf ihn zu, und er rechnete schon
mit einem Stiefeltritt, aber dann hielt sie sich doch zurück. Am Ende lächelte
sie sogar: »Sie verstehen sich auf die Kunst, die Leute in Rage zu bringen.«
»Das haben
Sie mir noch nie gesagt.«
Sie hockte
sich neben ihn und sagte mit gesenkter Stimme zu ihm: »In unserem gemeinsamen
Interesse müssen wir eine Lösung finden!«
Sie kam
ihm so nahe, dass ihm eine Strähne ihres Haars über die Wange strich. Zum
ersten Mal nahm er ihren Geruch wahr, denn der Marsch durch den Wald hatte sie
schwitzen lassen. Das verwirrte ihn, denn es war, als würden sie eine neue
Stufe von Intimität erreichen, und gleichzeitig überfiel ihn ein beunruhigendes
Gemisch aus Anziehung und Abstoßung. »Was wollen Sie genau?«
»Dass Ihr
Freund ein paar Überweisungen veranlasst. Das Geld muss wieder zurück aufs
Startfeld.«
»Und Sie
wollten Brice und Valerie als Geiseln?«
»Ich will
offen zu Ihnen sein. Ihr Freund Idwa ist für uns wegen seiner getreuen Varak
Lao unerreichbar. Außerdem glaube
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