Lelord, Francois
schlafen.«
»Natürlich,
aber sagen Sie uns kurz, was passiert ist. Wo ist unser Freund?«
Die Lady
seufzte erneut: »Okay. Diese große Schlampe in Uniform hat mir gesagt, dass sie
mich nicht mehr braucht und dass sie sogar glücklich ist, mich endlich
loszuwerden. Also hat mich einer der Soldaten bis zum Dorf begleitet. Und hier
bin ich nun.«
»Und
Brice?«
»Als er
angekommen ist, habe ich mich erst gefreut; ich fand ihn beinahe richtig toll.
Aber dann habe ich gemerkt, dass die Schlampe und er sich offensichtlich
kannten. Am Anfang schien es gut zwischen ihnen zu laufen, aber dann hat sich
alles geändert. Sie haben uns aneinandergefesselt.«
»Wann war
das?«
»Gestern
Abend. Ich hatte den Eindruck, dass alles anders geworden ist, nachdem die
elende Schlampe in ihrer Kanakensprache in ihr komisches Funkgerät geredet
hatte. Na schön, und darf ich jetzt endlich schlafen?«
Mehr hatte
die Lady ihnen nicht mitzuteilen, und gleich darauf schlief sie auch schon. Es
schien ihr viel besser zu gehen als vor drei Tagen. Aber das hatte Hector schon
bei anderen Patienten beobachtet: Wenn ihre Umgebung genauso verrückt und
bedrohlich wurde wie ihre innere Welt, stellte das in ihnen manchmal einen
Gleichgewichtszustand her, so zerbrechlich dieser auch sein mochte. Inmitten
von Katastrophen fühlten sich Menschen wie die Lady nicht mehr so
phasenverschoben gegenüber der Welt und den übrigen Leuten; ihre Realität entsprach
zusehends der Realität. Der Realität einer Geisel, die im Dschungel von
Unbekannten festgehalten wurde, die imstande waren, sie zu töten, und die
schließlich Zuflucht fand bei einem Stamm ehemaliger Kopfjäger, deren Sprache
sie nicht verstand und bei denen sie in Gesellschaft eines Irren lebte und
eines Psychiaters, der von der Lage selbst sichtlich überfordert war.
Eigentlich
bestätigte die Freilassung der Lady, dass der General (vielleicht beraten von
Leutnant Ardanarinja) seinen Realitätssinn noch nicht vollkommen eingebüßt
hatte. Das alte Krokodil hatte begriffen, dass es schnell gefährlich werden
konnte, wenn man eine internationale Berühmtheit in Geiselhaft hielt - man
konnte damit eine Intervention überlegener Streitkräfte auslösen.
Hector ärgerte
sich schon wieder über sich selbst. Hätte er ihnen Brice nicht vorbeigeschickt,
hätten sie die Lady vielleicht sowieso freigelassen. Und dann
hätten sie hier alle vier zusammengesessen und sich über ihren Erfolg gefreut.
Aber so mussten
sie etwas unternehmen. Er rollte sich von seiner Matte, stand auf und machte
sich auf die Suche nach Edouard.
»Hector«,
rief Valerie, »warte auf mich!«
Um sie
herum erwachte allmählich der Dschungel; es war die Stunde, in der die Vögel am
meisten sangen, und in den noch dichten Schatten herrschte beinahe so etwas wie
Kühle.
Edouard
saß in seiner Hütte und meditierte mit geschlossenen Augen. Zu seinen Füßen
lag Maria-Lucia auf einer Matte und schlief. Vor ihm dampfte noch ein Schälchen
mit Suppe. Wahrscheinlich war dies seine einzige Mahlzeit für den ganzen Tag.
Plötzlich
schlug er die Augen auf. »Ich werde zu ihnen gehen«, sagte er.
Hector
hatte schon damit gerechnet. Nachts, in einem Zustand zwischen Schlafen und
Wachen, hatte er einen Traum gehabt oder vielleicht eine Vision, deren Bilder
so ähnlich ausgesehen hatten wie die Szenen auf mittelalterlichen Kirchenfenstern:
Edouard, der einem Heiligen der ganz frühen Christenzeit ähnelte, stieg einen
steilen Pfad empor, um Leutnant Ardanarinja zu begegnen, die ihn mit dem
zornigen Blick einer feindlichen Gottheit bereits erwartete.
Edouard
erklärte, dass es die einzige Möglichkeit sei, den General zu besänftigen. Er
werde ihm versprechen, das Geld überweisen zu lassen, aber erst, wenn alle
seine Freunde in Sicherheit waren.
»Aber dann
behalten sie dich als Geisel da!«
Edouard
lächelte. »Ich muss die Folgen meiner Handlungen tragen. Schließlich habe ich
diesen ganzen samsara in Gang gesetzt...«
»Aber man
wird Sie am Ende bestimmt töten«, sagte Maria-Lucia.
Edouard
seufzte, als wollte er ihnen zu verstehen geben, dass er über diese Aussichten
selbst schon nachgedacht hatte.
»Vielleicht.
Aber besser ich als Brice. Für ihn ist der Tod ein furchterregender
Schlusspunkt und sonst nichts. Ich will ihm die Chance lassen, die Unwissenheit
noch in diesem Leben zu überwinden.«
Was sollte
man darauf antworten? Ein Freund hatte seine Freunde für Geld verraten, und
jetzt wollte ein anderer Freund für das
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