Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
Vom Netzwerk:
zwar nicht das erwartete großartige Erfolgserlebnis gewesen, weil die Sache mit dem Kondom zu viel Zeit in Anspruch genommen hatte, aber immerhin – es war ein Anfang gewesen. Seither lechzte Fabian danach, dieses Experiment zu wiederholen. Die Vorbedingungen waren günstig, da seine Eltern nach Berlin zur Beerdigung von Muttis Großonkel Erich gefahren waren. Mutti hatte angerufen und mitgeteilt, Onkel Erich sei gut unter die Erde gekommen, aber dieser depperte Geizkragen habe ihr leider nur wenig Bares hinterlassen. Das wollten sie und Vati nun gleich dazu verwenden, sich Berlin anzusehen.
    »Wirst ja mal eine Woche allein klarkommen«, hatte sie gesagt.
    Fabian hatte vor Glück Gänsehaut bekommen und versichert: »Selbstverständlich. Bin ja kein Baby mehr. Macht euch ein paar schöne Tage.«
    Am Sonntag hatte Fabian also sturmfreie Bude. Sein Plan, mit Ariadne den Tag und die Nacht zu verbringen, scheiterte trotz aller Liebe an ihren unterschiedlichen Meinungen zu einer weltbewegenden Angelegenheit. Fabian war zwar fixer im Kopf, aber langsamer auf den Beinen als Ariadne. Er hinkte, seit er sich als Kind beim Fußballspielen das Kniegelenk gebrochen hatte. Ariadne dagegen war ungeachtet ihrer Fettpolster flink wie ein Wiesel.
    Bevor Fabian rohes Fleisch zu hassen gelernt hatte, hatte er schon das Fußballspielen gehasst, weil es schuld an seinem Handicap war. Dass er keinerlei Begeisterung für den Volkssport Fußball aufbringen konnte, war demnach verständlich. Sein Widerwille gegen Fußball war das Einzige, was Ariadne an Fabian störte. Denn Ariadne war von ihrem alleinerziehenden Vater in Ermangelung eines Sohnes zu einem Fußballfan erzogen worden. Sie hatte schon mit fünf Jahren in einer Mädchenmannschaft gespielt, mit wachsender Begeisterung. Erst seit sie in die Pubertät gekommen war, hatte sie das Training aufgegeben, weil ihre Speckpolster Sport beschwerlich machten und sie dadurch nicht mehr zu den guten Spielerinnen gehörte, was sie nicht ertragen konnte. Aber es gab ja das Daimler-Stadion und die Sportschau. Und in diesem Jahr sogar die Fußballweltmeisterschaft. Ariadne saß jede freie Minute vor dem Fernseher, mampfte unentwegt Fleischküchle, Schinkenwürste, kalte Koteletts und dergleichen in sich hinein und jubelte sich heiser, wenn ihre bevorzugte Mannschaft ein Tor schoss. Sie konnte in der Wohnung so laut schreien, wie sie wollte, da erstens ihr Vater in irgendeiner Kneipe schrie und weil zweitens zurzeit die ganze Nation zu schreien schien.
    An dem bewussten Sonntag, an dem Fabian sturmfreie Bude hatte, gab es den ersten Streit zwischen ihm und Ariadne. Er wollte Sex mit ihr haben, sie Fußball gucken. Sie bestand darauf, dass das Fußballspiel Priorität habe, weil Deutschland im Achtelfinale gegen England spielte, was ja wirklich nicht alle Tage vorkam. Fabian konnte sich nicht durchsetzen, und das Ende vom Lied war, dass Ariadne kurz vor dem Anpfiff aus der sturmfreien Wohnung stürmte und zur nächstliegenden überfüllten Kneipe lief. Dort saßen die Stammgäste bereits vor dem Bildschirm und hatten sich mit Stuttgarter Hofbräu eingestimmt. Sie nahmen das Mädchen freundlich in ihre Mitte.
    Fabian hielt es ohne Ariadne daheim nicht aus. Er rannte liebeskrank durch Feuerbachs Straßen. Zu guter Letzt kaufte er an einem Kiosk zehn Dosen Bier. Da im Hintergrund ein Fernseher stand, auf dem bereits das Fußballspiel lief, wurde Fabian nicht wie sonst gefragt, ob er schon achtzehn sei. Deswegen verlangte er auch noch Zigaretten. Sein Geld reichte gerade noch für zwei Päckchen Rote Gauloises und ein Billigfeuerzeug.
    Er steckte sich gleich vor Ort eine Zigarette an und nahm zwischen jedem Zug und einem Hustenanfall einen tiefen Schluck aus der ersten Bierdose. Die anderen verstaute er in seinem Rucksack, drückte die angefangene Dose gegen die Brust und humpelte davon. Es kam ihm so vor, als würde die Hitze bei jedem Schritt um mindestens fünf Grad zunehmen. Deswegen überlegte er, wo es in diesem verdammt heißen Straßengewirr einen schattigen Platz mit einer Bank gab. Eine Bank, auf der er sich in Ruhe volllaufen lassen konnte. Zugegeben, im Saufen hatte er keine Übung, aber er dachte mannhaft: Drastische Situationen verlangen nach drastischen Lösungen. Das hatte er irgendwo gelesen. Er merkte sich Sprüche, die ihm gefielen und vermittelte sie, leider meist etwas unpassend, den Kunden in der Metzgerei.
    Ab und zu blieb Fabian stehen, versuchte sich mit Bier zu erfrischen

Weitere Kostenlose Bücher