Lemberger Leiche
»Ich trinke sonst nie, weil ich keinen Alkohol vertrage.«
Kommissar Stöckle machte eine gewichtige Pause, in der Fabian angewidert den Tanz seines Adamapfels beobachtete.
»Ihr Kopf lag auf einem Rucksack«, fuhr Stöckle fort. »Darin befand sich ein Portmonee mit Kleingeld und eine Monatskarte der SSB.«
Fabian fühlte, wie sich durch diese Mitteilung das Chaos in seinem Kopf etwas ordnete. Sein Fahrausweis! Endlich war das Geheimnis gelüftet, woher die Polizei seinen Namen kannte, bevor er seine Personalien zu Protokoll gegeben hatte. Obwohl der Vulkan in seinem Kopf zur Ruhe gekommen war und das heiße Pochen hinter seiner Stirn nachgelassen hatte, brachten ihn die folgenden Fragen Stöckles wieder aus der Fassung. Es ging darum, wo er am Sonntag gewesen war, bevor er sich betrunken hatte. Dass er volltrunken gewesen war, daran zweifelte Fabian nicht und gestand es auch sofort ein. Nur konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern, auf welchem Weg er zu seinem Saufplatz gelangt war. Ob sich unterwegs irgendetwas ereignet hatte,wusste er erst recht nicht, weil er nur an Ariadne gedacht hatte. Aber gerade nach Ereignissen auf diesem Weg fragte nun Stöckle mehrmals beharrlich. Fabian verstand nicht, warum das wichtig sein sollte. Stöckles nächster Satz kam ihm so seltsam vor, dass er ihn sich wiederholen ließ.
Stöckle betonte jedes Wort und ließ dabei seinen Adamsapfel hopsen. »Woher stammen die zehn Hundert-Euro-Scheine, die sich in der Seitentasche Ihres Rucksacks befunden haben?!«
»Wie meinen Sie das?«
Das stotterte Fabian und merkte, dass er genauso bekloppt guckte, wie er sich fühlte. Er ahnte zwar, dass sein rundes Babygesicht auch im Normalzustand nicht den Eindruck erweckte, zu einem Hochbegabten zu gehören, aber seit Ariadne ihm versichert hatte, er sähe absolut süß aus, hatten sich seine Minderwertigkeitsgefühle weitgehend verflüchtigt. Fabian war selbstbewusst geworden, seit er mit Ariadne zusammen war, und auch, weil er seither auf ihren Rat die Haare kurz und mit Gel hochgestellt trug. Er tastete nach seinen Haaren. Natürlich lagen sie platt auf der Kopfhaut und das machte ihn noch nervöser.
Während er an seiner nicht vorhandenen Frisur herumzupfte, sagte er tapfer: »Okay, ich habe mich besoffen. Ist das ein Verbrechen?«
»Besaufen nicht«, sagte Stöckle. »Aber eine Bank auszurauben, ist auf alle Fälle eine strafbare Handlung.«
»Bank? Ausrauben? Nun verstehe ich überhaupt nichts mehr!« Fabian verdrehte ratlos die Augen. »Ich hab zwar in einer öffentlichen Grünanlage auf einer öffentlichen Bank übernachtet, aber niemanden belästigt. Nicht mal gekotzt hab ich. Also, was hab ich verbrochen?«
»Hier stelle ich die Fragen!« Stöckles zusammengezogene Augenbrauen waren eine eindeutige Drohgebärde, der er jetzt auch seine Stimme anpasste. »Sagen Sie mir endlich, was Sie am Sonntag, bevor Sie sich dem Suff ergeben haben, getan haben. In Ihrem Alter sollte das Kurzzeitgedächtnisnoch so weit funktionieren, dass Sie sich Dienstag früh erinnern können, was am Sonntagabend passiert ist.«
Fabian schnappte nach Luft und sagte gedehnt: »Dienstag? Wieso haben wir schon Dienstag?«
Er schielte auf sein zerknittertes T-Shirt und zu seiner schmuddeligen Trekkinghose und dachte, dass er, wenn tatsächlich schon Dienstag war, schließlich andere Sorgen hatte, als ständig dämliche Fragen zu beantworten. Sorgen, wie zum Beispiel, ob er seine verdreckten Klamotten wieder sauber bekäme, bevor seine Eltern zurück sein würden. Seine noch größere Sorge war, wie er Ariadne die Sache erklären sollte. Er war sich sicher, dass sie inzwischen nicht mehr eingeschnappt war – schon wegen der vier deutschen Tore gegen die Engländer. Informationen über diesen Sieg hatte ihm ein junger Polizist zusammen mit dem Frühstück gebracht. Aber was sollten Ariadne und natürlich auch der Chef von ihm denken, da er, der doch immer pünktlich gewesen war, gestern, am Montag, und nun auch noch heute nicht zur Arbeit gekommen war? Wahrscheinlich hatte Herr Pützle bei ihm daheim angerufen und längst festgestellt, dass er nicht mit Bauchweh oder dergleichen im Bett lag.
Diese Probleme machten Fabian bockig. Er zog seine pralle Unterlippe zwischen die Zähne, sprang auf, als wollte er Stöckle an die Kehle, und schrie unvermittelt los: »Verdammt noch mal, ich muss ins Geschäft!«
Stöckle blieb gelassen und verlangte in einem Ton, mit dem man ungezogene Kinder zurechtweist:
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