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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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und tappte dann weiter durch die menschenleerenStraßen. Nachdem die zweite Bierdose leer war, fiel ihm unvermittelt der Alte Friedhof ein, den er sich sogleich zum Ziel nahm.
    Die hohe Natursteinmauer, die den ehemaligen Gottesacker umgibt, ist das einzige Vermächtnis aus der Zeit vor mehr als hundert Jahren, als hier noch verblichene Feuerbacher beerdigt worden waren. Aus dem Friedhof wurde ein kleiner Park, in dem sich die Kinder aus den umliegenden verkehrsreichen Straßen austoben. Auf diesem Spielplatz hatte auch Fabian als Kind geschaukelt und im Sand gebuddelt, und dort wollte er sich in eine schattige Ecke setzen und seinen Kummer ertränken.
    Fabian gelangte in den Park, wusste aber später nicht wie.
    Bis die Sonne unterging, soff Fabian gewissenhaft alle Bierdosen aus. Er war so voll, dass er das Triumphgebrüll nach jedem deutschen Tor für das »Schwabenstreich-Getöse« der Stuttgart 21-Gegner hielt. Doch der Lärm konnte Fabian nicht aufwecken. Er lag auf einer Bank im Schatten alter Buchsbäume und schnarchte leise vor sich hin. Auch die türkischen Familien, die am späten Abend mit ihrer Kinderschar den Schaukeln, Wippen und Rutschen einen lautstarken Besuch abstatteten, konnten Fabian nicht aus seinem Tiefschlaf reißen.
    Als ihn am nächsten Morgen die rauen, kräftigen Hände eines städtischen Müllbeseitigers rüttelten, löste das in Fabians Kopf eine Serie schmerzhafter Vulkanausbrüche aus.
    Die zwei Streifenpolizisten, die ihn eine Viertelstunde später wegschleppten, nahm er kaum wahr. Er erinnerte sich auch nicht an die Fahrt im Dienstwagen zum Polizeipräsidium in der Hahnenstraße, wo man ihn auf der Pritsche einer Ausnüchterungszelle abgelegt hatte.
    Dort hatte Fabian noch ein paar Stunden weitergeschlafen. Als er am Nachmittag wach wurde, brummte sein Kopf immer noch dermaßen, dass er nur ab und zu widerwillig die Augen öffnete, um sie gleich wieder zuzudrücken. Erst gegen Abend lichteten sich seine Gedanken etwas und er ahnte,wo er war. Irgendwann brachte ihm ein freundlicher, aber wortkarger Wärter zusammen mit einem Becher Tee und zwei Leberwurstbroten die Nachricht, dass er in dieser Zelle übernachten müsse. Fabian war noch zu verwirrt gewesen, um zu protestieren.
    Nun war diese Nacht endlich um und Fabian stocknüchtern. Seit er eine Tasse Kaffee und ein Laugenweckle bekommen hatte, war sein Kopf klar. Aber irgendetwas fehlte darin. Er verlangte, nach Hause gehen zu dürfen, und wusste sich keinen Reim darauf zu machen, warum das energisch abgelehnt wurde.
    Wenig später saß er einem Mann gegenüber, der sich als Kommissar Stöckle vom Raubdezernat vorstellte. Fabian zermarterte sich den Kopf, wieso ihn ein Beamter des Raubdezernats verhören wollte.
    Ich habe doch noch nie etwas gestohlen, dachte er. Und weshalb trägt dieser Mensch keine Uniform wie ein anständiger Polizist? Wie bin ich eigentlich hierhergekommen? Wie lange hab ich geschlafen?
    All das hätte Fabian Knorr jetzt gern gefragt, aber Stöckle blickte streng. Er schob sein Kinn vor und ließ seinen Adamsapfel auf und ab zucken, was Fabian einschüchterte. Weit weniger beeindruckte ihn der junge Kerl, Stöckles Assistent, der einen Tonträger einschaltete und dann wichtigtuerisch nach Dingen fragte, die nach Fabians Meinung nichts zur Sache taten: Name? Geburtsjahr? Wohnadresse? Das alles war leicht zu beantworten. Nur bei der Frage nach Vorstrafen kam er ins Stottern, weil ihm dazu die letzte Ohrfeige seines Vaters einfiel, die noch nicht lange zurücklag. Nachdem er zuerst »ja« gesagt hatte, korrigierte er energisch mit »nein!«
    Die Namen der Eltern herzusagen, war wieder einfacher. Berufe der Eltern auch: »Vater Fliesenleger. Mutter Hausfrau.«
    »Schulabschluss?«
    »Realschule.«
    »Berufsausbildung?«
    »Azubi im zweiten Lehrjahr. In der Metzgerei Pützle.«
    »Drogen?«
    »Nee!«
    »Alkohol- und Zigarettenkonsum?«
    »Nee.«
    Als diese Fragerei erledigt war, begann Stöckle mit dem Verhör. Bevor er loslegte, musterte er Fabian ein paar Sekunden lang, die diesem wie zehn Minuten vorkamen. »Sie wissen, Herr Knorr, dass Sie am gestrigen Morgen von einer Polizeistreife im Stadtpark des Alten Friedhofs aufgegriffen worden sind. Volltrunken! Neben der Bank, auf der Sie geschlafen haben, lagen zehn leere Bierdosen. Ihr Inhalt ist offensichtlich bis auf den letzten Tropfen durch Ihre Kehle gelaufen. – Und da behaupten Sie: Kein Alkoholkonsum!?«
    »Es war eine Ausnahmesituation«, murmelte Fabian.

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