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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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würde Sie gerne etwas fragen, Herr Grock   … Ich würde gerne wissen, was Sie dem Buchwieser erzählt haben. Oder vielleicht auch gezeigt. Dieses mysteriöse Pokerblatt, von dem er geredet haben soll: Ich weiß nicht, was er damit gemeint haben könnte. Aber Sie könnten mir vielleicht weiterhelfen   …»
    Das war keine Frage, Lemming. Selbstverständlich gibt Grock keine Antwort. Die alte Wiener Marotte, sich einem Thema auf blumig verbrämten, konjunktivischen Umwegen anzunähern: Es wäre vielleicht opportun, sie in diesem Fall abzulegen   … Der Lemming probiert es noch einmal.
    «Worauf, Herr Grock, hat sich der Buchwieser bezogen? Worum ist es ihm gegangen?»
    Das ist nun eine klare Frage gewesen, und sie verfehlt ihre Wirkung nicht.
    «Brillantenstrom», sagt Grock.
     
    BRILLANTENSTROM
     
    Und wieder schreibt der Lemming, verschiebt und jongliert, würfelt die Buchstaben durcheinander, runzelt die Stirn, hochkonzentriert, ein Murmeln auf den Lippen.
    «Tirols Alm brennt   … nein   … Brot im Rennstall   … Blödsinn   … Rambo rennt still   …»
    Und dann hat er es. Und er steht auf, langsam, wie in Trance, die Augen unverwandt auf das Schreibheft gerichtet. Und er breitet die Arme aus wie der Papst beim österlichen Segen. Und er weiß nun, dass der größte Schatz in diesem Drama Grock persönlich ist, der schmächtige wortkarge Mann, aus dessen Mund gleichwohl ein Strom von Brillanten quillt.
     
    BRILLANTENSTROM
    ROBERT STILLMANN

23
    Zwanzig nach elf. Der Lemming hastet die Stiegen hinunter. Kein Gedanke an die Schergen des Königs, die im Nachtdienst wachenden Schwestern und Pflegernämlich; kein Gedanke an die herrschende Nachtruhe. Kein Gedanke aber auch an das bevorstehende Treffen, daran, wer oder was ihn in der Wäscherei erwarten wird.
    Robert Stillmann ist es, der in seinem Kopf kreist.
    Was um alles in der Welt kann Buchwieser über ihn gewusst haben? Wo liegt der Hund des ermordeten Hundes begraben? Wenn Stillmann in ein Verbrechen verwickelt war, dann doch höchstens als Opfer, stumm und gelähmt, wie er daliegt, ans Bett gefesselt seit Jahren. Kann es sein, dass sich die Ärzte geirrt haben? Ist sein Schlaganfall am Ende doch nicht nur ein Schlag des Schicksals gewesen?
    Der Lemming schnaubt durch die Nase, hoffnungslos: Stillmann selbst wird das Geheimnis schwerlich lüften können. Und Rebekka? Sie scheint für ihre Begriffe genug erzählt zu haben. Es ist kaum anzunehmen, dass sie noch mehr intime Details des Lebens – nein, des leblosen Daseins ihres Mannes preisgeben will, ganz abgesehen von der Frage, ob sie überhaupt noch etwas preiszugeben hat.
    Während der Lemming, so rasch es nur geht, der Eingangshalle entgegeneilt, versucht er, sein inneres Tempo zu zügeln. Wieder lässt er das Gespräch mit Lisa Bauer Revue passieren, Wort für Wort, spult es vor und zurück wie ein Tonband, sucht nach weiteren erhellenden Passagen. Vom Erzengel Gabriel soll er geredet haben, der Buchwieser. Leider ist der Lemming alles andere als bibelfest. War das etwa der mit der Trompete? Der diese Stadt – wie hieß sie noch? – zum Einsturz brachte? Der Lemming muss kapitulieren, er hat keine Ahnung. Seine christliche Bildung reicht gerade für ein Vaterunser. Vom Glücksspiel versteht er schon ein wenig mehr: Ein Pokerblatt der Sonderklasse, hat Buchwieser gesagt. So weit, so klar: etwas Gewinnträchtiges, etwas, wofür sich ein hoher Einsatz lohnt. Und weiter: eine große Straße mit Joker, ein kleines Ass im Ärmel. Wenn Grock das Ass gewesen ist, fürwelche Karte ist dann Robert Stillmann gestanden? Die Antwort liegt auf der Hand, da braucht der Lemming gar nicht lange nachzudenken. Auch er hat sich gelegentlich im Pokerspiel versucht, obwohl er nur ungern daran erinnert wird: Es sind nicht gerade die glorreichsten Momente seines Lebens gewesen. Trotzdem weiß er, was eine große Straße bedeutet: fünf Karten in aufsteigender Reihe, von der Zehn bis zum Ass nämlich. Und zwischen diesen beiden liegt das Herzstück einer großen Straße: der König, die Dame, der Bub   …
    Der Lemming hat nun das Foyer erreicht. Bleibt stehen, kurz, verschnauft. Sein Geist verschnauft nicht. Eine große Straße mit Joker   … völlig absurd. Die Narrenkarte, die den Platz jeder anderen einnehmen kann, ist etwas für Kinderspiele und Patiencen; kein ernst zu nehmender Mensch würde jemals mit Jokern pokern. Aber: der König, die Dame, der Bub   … Wenn ich nicht schon völlig verblödet

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