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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Inspektor keine Anstalten, sich zu entfernen. Im Gegenteil: Sie tritt auf Krotznig zu und streckt die Hand aus: «Wenn mir der Herr Major vielleicht gütigerweise sein Handy   …»
    «Vergiss es! Ka Netz da herunten.»
    Jetzt erst wendet sie sich dem Ausgang zu, langsam allerdings und zögerlich. Bleibt nach wenigen Schritten stehen und wirft einen Blick zurück, einen Blick in die Hilfe suchenden Augen des Lemming. Zuckt dann bedauernd die Achseln und verlässt den Raum. Danke, Frau Inspektor. Danke für Ihr Mitgefühl   …
    «Sodala, jetzt hamma’s g’mütlicher, mir zwei, ohne die depperte Schastrommel   …», schnurrt Krotznig, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. «Fast wie in der guten alten Zeit, gell, Burli? Also pass auf, versprochen is versprochen: deine Rechte   …» Er verstummt. Ansatzlos kracht seine Faust ins Gesicht des Lemming.
    Man weiß nach solchen Momenten nie, was man zuerst gespürt, gehört, gesehen hat: das Splittern des Knochens vielleicht?Das säuerlich dumpfe Aroma hinter der Nase, diese seltsame Mischung aus Geschmack und Geruch, die sich am ehesten noch mit verbranntem Gummi vergleichen lässt? Oder doch den Blitz, der hinter den Augen nach innen zuckt, um sich erst nach und nach von gleißendem Licht in dröhnenden Schmerz zu verwandeln? Man weiß es nicht. Man weiß am Anfang nicht einmal, was gerade geschehen ist, ob man schon schläft oder noch wacht, noch steht oder schon liegt   …
    Der Lemming steht noch.
    «A geh, so was Blödes   … Stell dir vor, was i für a Dummerl bin, immer wieder muss mir des passieren: Des war gar ka Rechte, des war a Linke   …»
    Diesmal holt Krotznig aus. Und diesmal ist es ein rechter Haken, der im Gesicht des Lemming explodiert.
    Der Schmerz also. Der dröhnende, pochende Schmerz. Und dann: die Angst. Salzig und warm sprudelt sie aus den Augen, der Nase, dem Mund, die Angst. Denn es ist keine Angst vor dem, was noch kommt, es ist eine Angst vor dem, was bereits geschehen ist: Wie hoch ist der Schaden? Was ist gebrochen, gerissen, zerquetscht? Werden die Ohren noch hören, die Augen noch sehen können? Wie viel Leben trägt er wohl fort, dieser Strom aus Tränen und Blut, der sich da so lautlos auf den Kellerbeton ergießt?
    Inzwischen liegt der Lemming auf dem Boden. Im grellen Gegenlicht der Neonröhren kann er den Umriss Krotznigs erkennen, der breitbeinig über ihm steht.
    «Hamma die Rechte verstanden?»
    Der Lemming hebt schützend die Arme über den Kopf.
    «A zweites Mal frag i net   …»
    Der Lemming nickt.
    «Nur, dass d’ di nachher net beschwerst   … Dann schau ma einmal, wo unser klaner Rambo sein’ Schwuchtelrevolverhat   … Was war des no g’schwind für a Kaliber? Null null sieben? Aber wurscht, für den Buchwieser hat’s ja allerweil g’reicht   …»
    Der Major geht knarrend in die Hocke und beginnt, die Taschen seines Gefangenen zu durchwühlen. Die steifen Schöße des Ledermantels wippen an seinen Seiten wie Vogelschwingen: Krotznig gleicht einem hungrigen Geier bei der Mahlzeit.
    «Da schau her   … Da hamma ja was   …» Mit spitzen Fingern zieht er die kleine Bibel aus dem Schlafrock des Lemming. Erhebt sich dann langsam, den Blick mit outriertem Erstaunen auf das Buch gerichtet, und bricht in schallendes Gelächter aus. «Unser Burli   … Unser Burli   … is unter die Herrgottschlecker ’gangen! Hast es ’leicht ins Jenseits psalmodiert, des Krewecherl da in der Waschmaschin’?»
    Nicht lange jedoch, und sein Lachen erstirbt. Zurück bleibt ein Glosen in seinen Augen, ein seliger Ausdruck auf seinem Gesicht. Krotznig hat eine Idee   …
    «Und jetzt, Burli», raunt er, «jetzt wird gebetet   … A Vaterunser für den lieben Onkel Adi   …» Er beugt sich vor, vergräbt seine Faust im Schopf des Lemming und beginnt zu ziehen. «Hände falten   … Brav falten   … Sehr schön   … Na, nix da! Z’samm lassen, die Händ’!» So zerrt er an den Haaren des Lemming, bis dieser vor ihm kniet.
    «Hoppauf, geht scho’!»
    «Vater unser   …», flüstert der Lemming.
    Ein Klatschen. Vergleichsweise sanft, diese Ohrfeige, beinahe liebevoll: Aber schließlich pflegen auch Pfarrer ihre Ministranten nicht mit Fausthieben zur Räson zu bringen.
    «Ganz falsch, Burli   … ganz ganz falsch   …»
    «Vater unser   …», stöhnt der Lemming nun ein wenig lauter.
    «Du verstehst mi net, Burli   …»
    Und wieder schlägt Krotznig zu. Es braucht eine Weile, bisder Lemming begreift, was

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