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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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trügerisch sind Weiberherzen   …», fängt der Major zu singen an. Er lehnt sich zurück, wirft einen Blick auf die goldene Armbanduhr. Bemisst die Zeit bis zur Exekution. Genießt jede Sekunde davon   …
    «Mögen sie zagen, mögen sie schmerzen   …»
    Das Gehäuse der Wäschemangel erzittert. Mit leisem Brummen setzt sich die Walze in Bewegung.
    «Scheiß! Scheiß! Verfickter Drecksscheiß!» Schon wirbelt Krotznig herum, wird noch im Ansatz zurückgerissen, zerrt entnervt an seinem Gürtel, dessen Schnalle sich in der Mantellasche festgefressen hat. Ein aussichtsloses Unterfangen: Zu dick ist das Leder, zu fest ist das Garn, zu robust ist mit einem Wort das gesamte Material, aus dem meisterliche Finger in wohl ungezählten Arbeitsstunden dieses Glanzlicht der Kürschnerei geschaffen haben, diese postmediävale Büffelhautrüstung, dieses Marken- und Hoheitszeichen des selbst ernannten Königs aller Krimineser, Bezirksinspektor Adolf Krotznig, dem sein kackbrauner Freund und Begleiter jetzt Stück für Stück vom Leib gezogen wird. Krotznig wird förmlich gehäutet, mit seinem knarrenden Stolz wird er selbst in die Mangel genommen; nackt fühlt er sich mit einem Mal und gleich darauf noch viel nackter: Denn in diesem schmachvollen Moment polizeilicher Unachtsamkeit trifft ihn der Fuß des Lemming mit vollem Schwung in den Unterleib. Krotznig schnappt nach Luft, brüllt auf, röhrt wie ein brünftiger Hirsch, als ihm ein weiterer, nicht minderkräftiger Tritt des zweiten Symbols seiner Macht beraubt. Vom Pantoffel des Lemming gerammt, schnalzt seine Hand zur Seite, und schon segelt sie glänzend und schwarz durch die Luft, die siebzehnschüssige
Glock
, prallt auf und schlittert über den Kellerbeton.
    «Du Hurensau! Du dreckige Hurensau!»
    Eine faire Chance, ein faires Geschäft.
    Abgemacht ist abgemacht.
    Jetzt läuft er, der Lemming.

26
    Die Krise kam plötzlich und unerwartet; sie überraschte mich in einer Phase meines jungen Daseins, in der ich mich mehr denn je gegen alle erdenklichen Hürden gefeit fühlte. Die Schule lag bereits hinter mir; die Zeit der Pubertät, von der meine Altersgenossen unwiderruflich in tumbe Vasallen der Rührseligkeit verwandelt worden waren, hatte mich weitgehend ungeschoren gelassen. Durch diese Erkenntnis gestärkt, trat ich aus ihr hervor. Nicht, dass mir die hochinteressante Erfahrung der Paarung versagt geblieben wäre; mir war nur die krankhafte Sucht nach seelischer Zweisamkeit, der die anderen scharenweise erlagen, ein unlösbares Rätsel, umso mehr, als ich unschwer erkannte, dass diese groteske Passion ausnahmslos Verlierer hervorbrachte. Immer folgte dem flüchtigen Glück ein handfestes Elend, dem kurzen Rausch ein langer Kater   …
    Ich hatte mir also einmal mehr bewiesen, dass sich mein Wesen jeglicher Wehleidigkeit, jeglicher sentimentaler Beschränkung entzog; das machte mich zum unumschränkten Herrscher meiner selbst und damit zum Herrn der Welt, die mich umgab. So ungehemmt ich mit ihr spielen, sie gestalten konnte, so ungezählt waren die Masken und Verkleidungen,die mir zur Verfügung standen. Ich war frei, zu tun und zu sein, was ich wollte: Das Schicksal konnte mir nicht, weil ich selbst das Schicksal war.
    Doch dann geschah das Unvorstellbare: Mein Leben, mein Werk, mein scheinbar so stabil gebauter Gedankenpalast drohte von einem Moment zum anderen einzustürzen wie ein Kartenhaus. Dabei war gar nichts vorgefallen, nichts Ungewöhnliches jedenfalls. Wie an jedem Tag schlug ich morgens die Zeitung auf, wie an jedem Tag las ich die Meldungen und Artikel, ließ mich also bis weit über die Grenzen meines Geistesreiches tragen, um mich an der Dummheit der Engerlingsmenschen zu ergötzen. Doch was dann geschah, das war anders als sonst.
    Einige ganz gewöhnliche Beiträge zogen meine Aufmerksamkeit auf sich, Berichte, deren ich mich gar nicht mehr entsinne, weil sie so alltäglich waren. Die Nachrichten klingen heute nicht anders als damals: Der Vorstand eines Bankenkonsortiums, dessen jährlicher Umsatz durch Investitionen in Chemie- und Autoindustrie gerade um ein Viertel gestiegen ist, beschließt Massenentlassungen, um im nächsten Jahr noch höhere Gewinne zu lukrieren. Der Präsident einer Atommacht, deren führender Ölkonzern von seinem engsten Parteifreund geleitet wird, erklärt einem kleinen Land mit großen Ölvorkommen den Krieg, um einer möglichen nuklearen Bedrohung vorzubeugen. Die Regierung eines anderen Landes wieder nimmt

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