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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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stockt mit einem Mal der Atem. «Soll das heißen, dass Angela   … Dass
sie
ihn   …»
    «Nein. Eben nicht. Sie hat das Vieh nicht ausgemerzt, sie hat es nur in den Käfig gesperrt. In ihr ganz spezielles Vivarium.»
    «Meinen Sie   … den Raum, zu dem die Schlüssel passen?»
    «Richtig.
Strafraum
hat sie ihn genannt. Sie hat ihn heuer im Frühjahr eingerichtet, nach der Versteigerung unserer Wohnung: Ein paar Tausender sind ja noch übriggeblieben, nachdem sich die Bank ihre Beute gesichert hatte. Ein paar Tausender Blutgeld, wie geschaffen, um sie in die Büchse derPandora zu stecken: in einen schalldichten, abgelegenen Raum, ganz in der Art einer strengen Kammer, Sie wissen schon. Nur dass man dort nicht mit Peitschen und brennenden Kerzen traktiert wird, sondern mit   … Lärm.»
    Der dumpfe, hämmernde Rhythmus elektronischer Bässe, vermischt mit dem Kreischen undefinierbarer Blas- oder Streichinstrumente. Dazu ein dichter Nebel aus Stimmen, dem hin und wieder gellendes Gelächter entsteigt. Dann das Aufröhren eines Motors, heiser und grollend, anscheinend ein Motorrad   … Da ist er wieder, der Gedankenfisch des Lemming, die Erinnerung an jenes Telefongespräch mit Angela. Im Winzerhaus Harald Farnleithners nur eine flüchtige Assoziation, nimmt der Gedanke jetzt Gestalt an, brät sich der Fisch gewissermaßen selbst, bis er gut durchgegart, akkurat filetiert und entgrätet auf dem geistigen Teller des Lemming liegt. «Mein Gott, der Farnleithner! Natürlich! Das war es also, was er mit   …
Behandlung
gemeint hat!»
    «Dieser Gastwirt? Der war ihr Versuchskaninchen, ja. Von dem hat sie mir auch erzählt; sie hat mir sogar einen Zeitungsartikel gezeigt, als Bestätigung. Irgendwie hat sie den Typen betäubt und in besagten Raum geschafft, um ihm dort seinen eigenen   … Scheiß vorzuspielen. Und zwar wirklich den eigenen Scheiß. Für eine Tontechnikerin wie sie war’s keine Hexerei, sich vor sein Lokal zu stellen und den Radau einen Abend lang mitzuschneiden. Diese Bandaufnahme hat sie ihm dann hochdosiert verabreicht, sprich: eine Woche lang rund um die Uhr. Bei diesem Wirten dürfte ihre Therapie geholfen haben: Angeblich lässt er seine Nachbarn jetzt in Ruhe.»
    «Das kann ich bestätigen», murmelt der Lemming. «Aber es ist mir ein Rätsel, wie sie das hingekriegt haben soll. Ich meine, die ganze Logistik: Allein schon Farnleithners Transport und seine Verpflegung   … Und bei alledem noch unerkannt zu bleiben! Ich war ja am Sonntag bei ihm, beimFarnleithner, und er hat
mich
für seinen Entführer gehalten.»
    «Ich weiß es auch nicht», entgegnet Frank Lehner und zuckt mit den Achseln. «Sie hat mir weder das Wie noch das Wo verraten. Nur eben, dass sie die Ratte jetzt auch in den Strafraum verfrachtet hat.»
    «Vorige Woche?»
    «So ist es.»
    «Am Mittwoch?»
    «Exakt.»
    «Das heißt   … Er sitzt noch immer dort?»
    «Das hab ich doch gesagt. Die Büchse der Pandora   …»
    «Aber seit fast einer Woche! Ohne Betreuung! Wie soll man denn das überleben?»
    Frank Lehner bleibt die Antwort schuldig: Sein verächtlicher Blick, seine feindliche Haltung, all das ist unmissverständlich genug. «Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Herr Wallisch», meint er zynisch. «Es geht ihm sicher gut, dem armen, dem   …
bedauernswerten
Mann. Es geht ihm wahrscheinlich hervorragend. Wollen Sie wissen, was meine Frau mir gesagt hat?» Lehner beugt sich vor und funkelt den Lemming an. «Wollen Sie es wissen? Dass es ihm dort an nichts fehle, hat sie gesagt. Dass für ihn gesorgt sei wie für einen Ehrengast. Mit einem vollen Kühlschrank, einer Toilette und einem frisch überzogenen Bett. Er könne sogar fernsehen oder versuchen, Musik zu hören, vielleicht auch den teuren Rotwein verkosten, den sie ihm hingestellt habe: immerhin eine der wenigen Freuden, die er sich ab und zu selbst vergönne. Nein, es fehle ihm an nichts, an keinem Komfort, so wie dem Farnleithner: Der sei ja auch mit Prosciutto, Prosecco und Motorradmagazinen versorgt gewesen. ‹Die Leute sollen ihren Aufenthalt genießen – falls sie dazu in der Lage sind   …› Das hat sie wortwörtlich gesagt, meine Frau, mit einem hintergründigen Lächeln.» Frank Lehner sieht den Lemming anund presst die Zähne aufeinander. «Ich konnte es kaum glauben!», stößt er dann hervor. «Ich konnte kaum glauben, dass sie hingekriegt hatte, wovor ich so lange zurückgeschreckt war. Dass die Ratte nun auf dem Serviertablett lag.

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