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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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ein jähes Ende setzt: Ben lässt gelangweilt die Puppe fallen und wendetden Kopf in Angelas Richtung. Zwei, drei Versuche nur: Schon dreht sich der Kleine mit Schwung auf den Bauch. Er stützt sich auf den Armen ab, winkelt die Beine an und krabbelt los. Ungelenk erklimmt er – Stück für Stück   – Angelas reglosen Leib. Durch Zufall bekommt er jetzt eine Haarsträhne zu fassen; er zieht sich daran hoch, verliert beinahe das Gleichgewicht und schlägt mit einer Hand auf Angelas Stirn, während sich die andere in ihrem linken Augenlid verkrallt.
    Angela rührt sich nicht.
    Nur ihre Lippen klaffen mit einem Mal auseinander – geöffnet wohl durch den Druck des kindlichen Gewichts. Ein dunkelbraunes Rinnsal sprudelt aus dem Mund des toten Engels und versickert lautlos in den Kissen.

7
    «Also, Herr, äh   … Dings   …»
    «Wallisch», murmelt der Lemming. Er geht in die Knie und hebt das Fläschchen auf, das Ben gerade fallen gelassen hat. «Gut festhalten», flüstert er dem Kleinen zu.
    «Für was soll i mi festhalten? Wollen S’ ’leicht a Geständnis ablegen, Herr   … äh   …»
    «Wallisch», wiederholt der Lemming. «Nein.»
    «Was nein?» Der Graubart im Trenchcoat senkt den Kopf. Fragend mustert er den Lemming über den Rand seiner randlosen Brille hinweg.
    «Nein, kein Geständnis», seufzt der Lemming.
    «Wal-lisch», skandiert der andere, während er in sein ledernes Notizbuch kritzelt. «Kein Ge-ständ   … Was haben S’ uns dann überhaupt g’rufen?»
    «Weil   … Na, weil halt   … ein Mord passiert ist!»
    «Da», bekräftigt Ben und lässt das Fläschchen fallen. «Da.»
    Der Bärtige klappt das Notizbuch zu. «Jetzt passen S’ einmalauf», sagt er und nimmt die Brille ab. «Was ein Mord is, das bestimmen immer no die Profis. Also wir. Und wenn das ein Mord war   …», er deutet auf Angelas Leiche, «dann is die Onanie a Stellung beim Geschlechtsverkehr.»
     
    Dass aber auch ausgerechnet Polivka kommen musste. Persönlich ist ihm ja der Lemming nie begegnet: In den düsteren, lange vergangenen Zeiten, in denen der Lemming noch selbst bei der Kripo war, hat Polivka – trotz seines damals schon fortgeschrittenen Alters – als einfacher Straßenpolizist seinen Dienst verrichtet. Innerhalb weniger Jahre ist er dann nicht nur in den Kriminaldienst aufgestiegen und – ganz nebenbei – zum Bezirksinspektor befördert worden, sondern hat es zudem auch geschafft, sich den Ruf eines undurchschaubaren Kauzes und schillernden Originals zuzulegen. Beste Kontakte zur Unterwelt wurden ihm ebenso nachgesagt wie solche zu den höchsten Wirtschafts- und Regierungskreisen. Was ja an sich keinen Gegensatz darstellt. Widersprüchlicher waren da schon die Bewertungen seiner beruflichen Fähigkeiten: Wann immer der Lemming einem seiner alten Kollegen über den Weg lief und das Gespräch auf Polivka kam, hieß es sofort: «Ein Genie!» oder: «Ein Trottel!», je nachdem.
    Ein Trottel, entscheidet der Lemming. Ein Volltrottel, wie auch der Notarzt, der in aller Hast den Totenschein ausgefüllt und gleich wieder das Weite gesucht hat. Aber bitte, man kann ja von einem jungen Herrn Doktor auch schwerlich erwarten, dass er in einer Nacht wie dieser länger als absolut nötig die Station verlässt. Da könnte ihm ja – Gott behüte!– der trockene Sekt warm und die warme Schwester trocken werden.
    Der Lemming versucht, den letzten Rest an Ruhe zu bewahren, der ihm nach den Ereignissen der vergangenen Stunden geblieben ist. «Hören Sie», sagt er jetzt mit zitternderStimme. «Die Frau Lehner hat sich nicht umgebracht. Das können S’ mir glauben. Ich war ja immerhin selbst einmal   …»
    «Was? Was waren Sie, Herr   …»
    «Krimineser war ich. Mordkommission, Gruppe Krotznig, falls Ihnen das was sagt.»
    Polivka blättert in seinem Notizbuch, bis er die richtige Seite gefunden hat. «Wallisch», brummt er vor sich hin. «Wallisch   … Irgendwo klingelt’s da   … San Sie vielleicht der Neffe vom Hofrat Sabitzer aus’n Innenministerium?»
    «Nein.»
    Der Bezirksinspektor zuckt die Achseln. «Schad», meint er bedauernd. «Dann weiß i auch net. Aber wo waren wir grad? Ah ja, der Selbstmord da, wegen dem S’ uns aufg’scheucht haben in der Christnacht.» Ein strenger Blick streift den Rand der mittlerweile wieder aufgesetzten Brille. «Wie kommen S’ denn drauf, dass das gar keiner war? Haben S’ die Verstorbene gut gekannt?»
    «Gut genug», meint der Lemming. «Immerhin hab ich

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