Lemmings Zorn
wichtig wie ihr blasiertes Gehabe. Drei Gesichter hab ich nicht gekannt, die haben auch nur Englisch gesprochen, zwei mit französischem, ein anderer mit undefinierbarem Dialekt. Sie haben ihre Flascherln Wein und Prosecco bestellt und sich in eine Ecke verzogen. Selbstverständlich hat es nicht lange gedauert, bis auch meine Gattin an ihrem Tisch gelandet ist. Zuerst ein kleines, neckisches Geplänkel – ich hab’s von hinter der Budel gesehen –, aber plötzlich ist die Stimmung ins Ernste gekippt: Zwei von den Großmäulern haben begonnen, auf meine Frau einzureden, und sie hat nur genickt, die ganze Zeit genickt. Ich will’s nicht zu lang machen, jedenfalls nachher beim Zahlen – Sie dürfen raten, wer die Rechnung übernommen hat, ein sattes Trinkgeld hab ich da von Ihren Steuergeldern eingestreift, Herr Mally –, da schauen mich alle ganz erwartungsvoll an, und der Oberzampano sagt zu mir: ‹Wir haben Großes mit Ihnen vor, Herr Farnleithner. Ihre charmante Frau Gemahlin ist schon in die Sache eingeweiht.› Die anderen haben mich zufrieden angegrinst, fast alle mit dicken Zigarren zwischen ihren noch dickeren Fingern. Ich war natürlich völlig ahnungslos, wovon er redet, aber es hat irgendwie … verheißungsvoll geklungen. Beim Weggehen sagt er noch: ‹Seien Sie unser Flaggschiff, Herr Farnleithner, und Sie werden’s nicht bereuen!› Dann, nach der Sperrstunde, ist meine Frau mit den großen Plänen unserer kleingeistigen Staatsmänner herausgerückt.»
Farnleithner schüttelt ärgerlich den Kopf. Er greift auf die Ablage unter dem Couchtisch und holt ein Päckchen Gauloises und einen Aschenbecher hervor. «Möchten Sie eine?»
«Danke», verneint der Lemming. «Schon vor Jahren abgewöhnt.»
«Stört es Sie?»
«Nein, nein. Ich rieche es immer noch gern.»
Farnleithner zündet sich eine Zigarette an und inhaliert genüsslich. «Drei österreichische Politiker, ein E U-Abgeordneter und zwei französische Wirtschaftsleute», erzählt er dann weiter. «Pharmaunternehmen, sag ich nur. Die sechs haben damals beschlossen, das
Farnleithner
zum Versuchsballon ihrer sogenannten Gesundheitspolitik zu machen. Ob das von langer Hand geplant war oder nur die spontane Ausgeburt eines entsprechenden Arbeitstreffens, weiß ich bis heute nicht – es bleibt der Phantasie jedes Einzelnen überlassen, sich die Hintergründe vorzustellen. Meine Frau hat jedenfalls freudighysterisch mit eingestimmt. Verstehen Sie, Herr Mally, damit hat alles begonnen.»
«Aha.»
«Der Deal war folgender: Wir verbannen die Raucher aus unserem Lokal, und die hohen Herren sorgen für die Presse. Welche Art von Presse, können Sie sich vorstellen:
Szenegastronom beweist Europareife: Raucher bitte draußen bleiben!
Oder:
Krustentiere ohne Krebs: neuer Lifestyle im Gourmettempel Farnleithner!
Oder auch:
Mutiger Wirt folgt den Zeichen der Zeit: Umsatzplus vierzig Prozent!
Ich war von Anfang an dagegen, das können Sie mir glauben, Herr Mally, aber ich … ich hatte einfach keine Chance. Und das, obwohl ich – so lachhaft es klingt – ein paar Wochen vorher mit dem Rauchen aufgehört hatte, während meine Frau noch immer gequalmt hat wie ein Schlot. Sei’s drum, wir haben es eben durchgezogen, und besagte Artikel sind dann auch wirklich in den Zeitungen erschienen. Von einem Umsatzplus war trotzdem keine Rede: Wissen Sie, wer als Erstes ausgeblieben ist? Ganz richtig, die Herren aus dem Parlament. Und nicht nur die mit den dicken Zigarren, auch die anderen, die zumGroßteil Zigarettenraucher waren. Die sind sich nämlich allesamt zu gut dafür gewesen, bei Wind und Wetter auf die Straße hinauszugehen, um sich eine anzustecken. Nein, das haben sie der Handvoll Gäste überlassen, die uns noch geblieben ist.»
Farnleithner dämpft die Gauloise aus und greift zu seinem Weinglas. «Verstehen Sie mich richtig, Herr Mally: Ich habe gelernt, was Rücksichtnahme heißt, mit Ihrer Hilfe hab ich’s gelernt. Und ganz genau deshalb ist diese Hatz auf die Raucher eine unglaubliche Obszönität. Statistiken? Wissenschaftliche Studien? Geschrieben von Professor Hinz und Doktor Kunz, die sich von irgendwelchen Lobbyisten die Nase dafür vergolden lassen? Ich will ja gar nicht bestreiten, dass das Zeug ungesund ist, aber was, bitte, ist nicht alles ungesund? Wissen Sie, wie viele Menschen seit dem Zweiten Weltkrieg im Straßenverkehr gestorben sind?»
«Keine Ahnung», gibt der Lemming zurück.
«An die fünfzig Millionen. Die
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