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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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nicht allein dafür verantwortlich machen kann, dass die Räume hier so   … so erfrischend kahl und leer aussehen. Sie müssen wissen, dass ich zu allem Überfluss auch noch Fußballfan gewesen bin – und das in Österreich: als würde ein Hawaiianer auf Eishockey stehen. Wie auch immer, ich war glühender Anhänger der Vienna, oben auf der Hohen Warte.»
    «Immerhin Österreichs ältester Fußballverein», wirft der Lemming nun ein.
    «So viel zu meiner Verteidigung, danke. Aber unter uns Betschwestern: Ich bin auch da nicht mehr so sehr fürs Glühen. Zu viel Trubel, zu viel Gebrüll, zu wenig   … Empathie. Plakate, Fahnen, Kappen und Schals, sogar zwei nachgebildete Pokale hab ich besessen. Ist alles in den Müll gewandert, die ganzen Devotionalien. Wenn man schon aufräumt, dann ordentlich. Meine Indian steht übrigens auch zum Verkauf; Sie sind nicht vielleicht daran interessiert?»
    «An Ihrem Motorrad? Also, um ehrlich zu sein   …»
    «Entschuldigung», winkt Farnleithner grinsend ab. «War nur ein Scherz. Aber schauen Sie   …», er hält inne, greift in eine Tasche seines Trainingsanzugs und zieht ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus. «Schauen Sie, eine Reliquie hab ich mir aufgehoben, als tägliche Mahnung sozusagen.»
    «Darf ich sehen? Was ist das?»
    «Na, ihr Warnschuss, Herr Mally! Ihr Brief! Ich werd ihn mir – das ist jetzt kein Scherz   –, ich werd ihn mir einrahmen lassen.»
    30.   3.   2004
    Herrn Harald Farnleithner
     
    Sie fassen es einfach nicht, dass ihnen der Luftraum eben nicht gehört, und dass wir zu eng aneinanderwohnen, als dass wir uns durch überflüssige Liebhabereien belästigen dürften. Niemand hat ein solches Recht, und gegen Rücksichtslosigkeit dieser Gattung ist jede Gegenwehr erlaubt.
     
    Dieses Zitat stammt von Kurt Tucholsky.
    Sollten Sie, Herr Farnleithner, die Belästigung Ihrer Mitmenschen nicht binnen Wochenfrist einstellen, so werden wir uns zur Wehr setzen. Glauben Sie uns das – in Ihrem eigenen Interesse.
    Alf
    «Ich kann Ihnen nicht das Geringste vorwerfen, Herr Mally», spricht Farnleithner weiter, während der Lemming – scheinbar unbeeindruckt – den Brief überfliegt. «Sie haben alles getan, um mich rechtzeitig zur Vernunft zu bringen. Und wer nicht hören will, muss eben fühlen. Hören, das wollten wir damals beide nicht, weder ich noch meine Frau. Erwischt hat es dann allerdings nur mich. Und das», Farnleithner hebt den Kopf und nickt dem Lemming lächelnd zu, «war ein Segen. Wissen Sie, warum wir uns getrennt haben? Warum wir uns jetzt scheiden lassen?»
    «Ich   … bin mir nicht sicher», murmelt der Lemming.
    «Nach Ihrer   … Ihrer Behandlung, Herr Mally, war ich geheilt. Im Gegensatz zu meiner Frau. Am Nachmittag nach meiner Freilassung hab ich ihr alles geschildert, was passiert ist, haarklein hab ich ihr alles erzählt. Und sie? Sie hat etwas von Polizeischutz gefaselt, von Strafanzeigen und Unbeugsamkeit. Nicht unterkriegen lassen, weitermachen wie bisher, das war ihre Devise. Offenbar reichen Erzählungen nicht,man muss es schon selbst erleben, wie das ist, wenn   … wenn man nicht mehr schlafen kann, nicht mehr essen, nicht mehr scheißen, nicht mehr denken. Am Abend habe ich dann im Lokal die Aschenbecher wieder aufgestellt und die Tür zugemacht. Worauf sie völlig durchgedreht ist, meine Frau. Sie hat auf mich eingeprügelt, vor den Gästen, und mich als Schlappschwanz und Weichei beschimpft. Mein Gott, was hat das lächerliche Weib für eine Angst gehabt, dass sie bei ihren schicken Schutzherren aus dem Parlament in Ungnade fällt. Und was für eine köstliche Ironie, dass ganz genau das bereits der Fall war, ohne dass sie es ahnen konnte. Vom nächsten Tag an ist sie ja alleine im Lokal gestanden – ich hab keine Lust mehr gehabt, bin einfach daheim geblieben – und ist natürlich postwendend zum alten akustischen Usus zurückgekehrt: Aschenbecher raus, Tür auf, Musik auf volle Lautstärke. Und dann, um elf am Abend, ist wieder die Polizei gekommen. Aber», Farnleithner kichert leise in sich hinein, «nicht so verlegen und unterwürfig wie sonst, sondern sechs Mann hoch, mit Blaulicht und Folgetonhorn. Anzeigen, Drohungen, Perlustrationen: Es muss eine regelrechte Razzia gewesen sein. Von diesem Tag an hat Ruhe geherrscht im
Farnleithner
. Und Raucherfreiheit. Unter der Hand hab ich später erfahren, dass unsere Politikerfreunde kalte Füße bekommen haben. Die haben ja – nicht zuletzt aus der Zeitung

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