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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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für solche Projekte   – Innenausbauten noch nicht einmal eingerechnet   –, und die Ratte war sichtlich entschlossen, diese Frist auch zu nutzen, sie bis zum letzten Tag – nein, bis zum
jüngsten
Tag zu nutzen, um den Meraner zu schröpfen.Nicht etwa, weil es ihm Spaß gemacht hat, uns vor die Hunde gehen zu sehen: Er ist kein Sadist, er quält nicht um des Quälens willen; dazu fehlt ihm jegliche Leidenschaft für das Abstrakte. Deshalb gibt es ja auch nichts, was dieses seelenlose Dreckstück interessiert, nichts, was die Welt zu bieten hat, außer dem einen: Geld, Geld und noch mehr Geld. Wie diese Kriegskinder, die ihr Leben lang nicht mehr genug bekommen, die Unmengen Mehl und Zucker horten, aus Angst, dass sie eines Tages wieder hungern müssen. Also: keine Interessen, keine Freuden, keine Hobbys, einfach nichts   … nichts Unzweckmäßiges. Das Einzige, was er sich ab und zu geleistet hat, war eine Flasche teuren Rotwein. Und seinen obligaten Winterurlaub natürlich: Sri Lanka, Kenia, Philippinen. Nicht, um dort kleine Buben zu ficken – verstehen Sie mich nicht falsch, aber eine solche Passion ließe ihn ja in gewisser Weise
menschlicher
erscheinen, als er wirklich ist   –, sondern nur, um   … dazuzugehören. Man tut eben das, was auch die anderen tun – in diesem Fall die eigenen Geschäftspartner. Man passt sich an, aus kalter Berechnung und aus Gründen der Tarnung, so wie ein Roboter, der sich den Anstrich eines gefühlsbetonten Wesens gibt. Eine anthropomorphe Maschine, das ist die Ratte: eine Geldzählmaschine. Ich hätte ihm schon damals den Stecker rausziehen sollen, damals vor zwei Jahren. Aber dem Hass ist die Liebe dazwischengekommen.»
    «Die Liebe? Eine   … andere Frau?»
    «Jetzt bringen Sie mich schon wieder zum Lachen, Sie Schelm.»
    «Sie lachen aber gar nicht.»
    «Hören Sie: Meine Frau war nicht die erste, aber sicherlich die letzte Frau in meinem Leben. Selbst, wenn es unvermeidbar wäre, für eine Sekunde im Paradies mit der ewigen Hölle bestraft zu werden, würde ich es wieder tun. Ich würde wieder die Sekunde wählen. Sie fehlt mir; sie fehlt mir so sehr, dass ich   … Also lassen Sie die Witze.»
    «Was war das dann für eine Liebe?»
    «Die Krönung aller Lieben: unser Kind. Wir waren   … Meine Frau war im vierten Monat. Es ist ja wieder   … schlecht und recht gegangen, im Sommer davor, in diesem halben Jahr der relativen Ruhe.»
    «Was meinen Sie? Was ist gegangen?»
    «Na, es. Verstehen Sie nicht?
Es
! Muss ich es aussprechen? Wenn einer vor hilfloser Wut außer sich ist, und wenn diese Ohnmacht zum chronischen Zustand wird, fließt auch das Blut nicht mehr dort, wo es fließen soll. Ohnmacht: Es gibt ein hübsches lateinisches Wort dafür.»
    «Ach   …
Es
also   …»
    «‹Was wächst nicht alles in der Ruhe! Was kommt nicht alles zur Blüte in der Ruhe!› Wieder Tucholsky. Das Einzige, was mir noch gewachsen ist, waren die Haare. Abgesehen davon, dass wir ohnehin nicht   … Ich meine, entwickeln Sie einmal romantische Gefühle, wenn rund um sie alles poltert und paukt, wenn Sie kaum mehr zum Reden kommen miteinander, geschweige denn zum Entspannen. Wenn Sie abends, sobald das Getöse endlich nachlässt, ausgepumpt und aufgerieben ins Bett fallen, um wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu finden. Wir waren wie   … ja, wie zwei Augen, wie ein Augenpaar: Man nimmt dasselbe wahr, aber man kann einander nicht ansehen – parallele Blicke, die sich nie begegnen. Angstvolle, machtlose Blicke noch dazu. Nicht dass sich unser Verhältnis verschlechtert hätte, es hat sich nur ausgedünnt, aufgelöst, es war nach zweieinhalb qualvollen Jahren kaum mehr vorhanden. Genauso wie unsere Geldmittel. Die nächste Kreditrate wurde fällig, das Konto war beinahe leer, und ich war drauf und dran, auch das zweite Stück –
Wasser
– in den Sand zu setzen: In der kurzen Atempause damals habe ich an den bereits geschriebenen Szenen herumgedoktert, bis sie einigermaßen passabel waren. Die erste Fassung sollte aber bis zum Jahresende fertig sein, und ich war höchstens bei derHälfte, als der Wirbel über unseren Köpfen wieder begann. Trotzdem: Wir waren schwanger. Und da geht man eben nicht auf Konfrontation, da riskiert man keinen Aufruhr, da versucht man nur, das kleine Leben zu schützen, dieses winzige, zerbrechliche Leben, es wenigstens anfangs, wenigstens die ersten Monate vor der Rohheit und der Niedertracht einer dreckigen Ratte zu schützen. Es kennt

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