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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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ersetzt werden würde, wann wir denn endlich aufs Dach könnten. Und er   …»
    «Selbstverständlich.»
    «Nein. Diesmal nicht. Zu seinem Bedauern, hat er gesagt, hätten sich die Dinge so entwickelt, dass eine Terrassenbenützung für die Hausbewohner – rein bautechnisch – nicht zu bewerkstelligen sei. Der schöne große Lift, die Ausrichtung der frisch gelegten Dachbalken, die Position der Eingangstür der neuen Wohnung: All das ließe die Errichtung einer regulären Treppe leider nicht zu.»
    «Ja, Herrgott, warum? Warum hat er   …»
    «Es war eine von langer Hand geplante Vereitelung, ein vorsätzlicher Vertragsbruch, aber so geschickt eingefädelt, dass die Ratte keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten musste. Zivilrechtlich, höchstens. Dazu hätte sich die träge Masse der Hausparteien erst einmal zusammentun, die Sache diskutieren, sich zehnmal vertagen, sich irgendwann einigen und dann einen Anwalt beauftragen müssen: alte Leute, die die Kraft, junge, die das Geld und die Zeit nicht haben. Menschen, die nichts anderes wollen, als in Ruhe zu leben. Mit einer Hausgemeinschaft kann man fast alles machen, und die Ratte wusste das. Statt zwei Monaten Baulärm und einem Stück Dach fünf Jahre Terror und keine Terrasse. Ein infamer Betrug, begangen mit den Vollmachten der gutgläubigen Betrogenen: Das kommt dabei heraus, wenn man sich mit moralischem Auswurf einlässt. Kennen Sie Goethes Stück
Die Mitschuldigen

    «Ehrlich gesagt, nein.»
    «‹Er gab mir nichts und lärmt’ mir noch die Ohren voll.› Erster Akt, zweite Szene.»
    «Aber wozu? Was hat ihm das   … Was hat der Ratte das gebracht?»
    «Ganz einfach: die Huld des goldenen Arsches, den er geleckt hat. Der Meraner war immerhin Herr über zweihundertzwanzig Quadratmeter Dachgarten: englischer Rasen, Sprinkleranlage und Putting Green inklusive. Wir sollten gerade mal dreißig Quadratmeter kriegen, angrenzend an sein kleines Versailles. Ja, denken Sie etwa, dass so ein Südtiroler Sonnenkönig den Pöbel neben sich duldet? Auf gleicher Augenhöhe? Neugierige Blicke über den Gartenzaun, wenn er da oben sein tägliches Golftraining absolviert? Was glauben Sie denn, warum er seine Wohnungstür versetzen hat lassen? Warum die quergelegten Dachbalken, warum der überdimensionierte Aufzug? Bei der Planung dieser Sauerei müssen einige Köpfe gewaltig geraucht haben, besonders natürlich der hässliche Schädel der Ratte – ganz nach dem Motto: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Es sind immer diese Parolen, die den Rückgratlosen zur Entschuldigung dienen. Das Hemd sei einem eben näher als der Rock, man habe ja nur seine Pflicht getan   …»
    «Du sollst die Hand nicht beißen, die dich füttert.»
    «So in der Art, genau. Dafür hat sie alle anderen Hände gebissen, die Ratte. Wieder und wieder gebissen, so lange, bis   …»
    «So lange, bis   …?»
    «An jenem Mittwoch vor eineinhalb Jahren ist sie mir endlich ausgerutscht, die Hand.»
    «Sie haben ihn geschlagen?»
    «Ich habe ihn verdroschen, ja. Auf der Baustelle oben. Wir sind ungestört gewesen; die Arbeiter waren auf Mittagspause. Also hab ich ihn nach Strich und Faden durchgeprügelt. Eine aufgeplatzte Oberlippe, eine gebrochene Nase. Er hätte mir eigentlich dankbar sein müssen, schließlich hat er nach der Behandlung besser ausgesehen als vorher: weniger schleimig,mehr blutig. Als ich mit ihm fertig war, ist er vor mir auf dem Boden gekauert, in seiner Pisse und seinem Rotz. Unter seiner beschissenen Rauchfangkehrerleiter ist er gesessen und hat am ganzen Leib gezittert. Aber nach einer Weile hat er den Kopf gehoben und mich angelächelt.»
    «Er hat   … was?»
    «Er hat mich angegrinst, ob Sie es glauben oder nicht. Gleich darauf hat er einen Kugelschreiber und mehrere Bögen Papier aus seiner Tasche gezogen. ‹Leider›, hat er genuschelt, ‹muss ich jetzt die Polizei holen. Vorsätzliche Misshandlung, absichtliche schwere Körperverletzung: Unter sechs Monaten Zuchthaus kommen Sie da nicht davon. Es sei denn, wir können uns   … anders einigen.› Dann hat er mir den Stift und die Papiere gereicht.»
    «Eine Verzichtserklärung für die Terrasse?»
    «Ein Kaufvertrag für unsere Wohnung. Er hatte alles vorbereitet, alles formuliert und zweifach ausgefertigt. Wahrscheinlich hat er den Vertrag schon wochenlang bei sich getragen und auf die richtige Gelegenheit gewartet.»
    «Soll das heißen, dass er es die ganze Zeit – die ganzen Jahre über – auf Ihre

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