Lemmings Zorn
einfacher Tausch, das war ihr Vorschlag», spricht Jandula weiter. «Ein kleines Geschäft unter Leidensgenossen: Die Angela bringt unsere Peiniger zur Vernunft, dafür erteilen wir dem ihren eine Lektion, die ihn bis ans Ende seiner Tage verfolgen wird. Sie waren nahe dran, Herr Wallisch, sehr nahe dran. Nur, dass wir niemanden engagiert haben; die Frau Lehner hat sich uns aus freien Stücken angeboten.»
«Sie ist es also selbst gewesen», sagt der Lemming mit tonloser Stimme.
«Ja. Sie selbst. Wir haben noch am selben Abend zwei Briefegeschrieben, einen an den Prantzl, einen an den Farnleithner. Zwei Ordnungsrufe von
Alf
gewissermaßen. Man muss den Leuten ihre Chance lassen, hat die Angela gesagt, das gebietet der Anstand, den sie selbst nicht besitzen. Genutzt haben die Warnungen freilich nichts, bei keinem der beiden. Und dann, einen Monat später, ist der Farnleithner verschwunden. Wie ich damals die Zeitung aufgeschlagen habe … Ich habe es kaum glauben können.»
«Ich auch nicht», meint Mally bekräftigend. «So ein Teufelsweib. Man rechnet ja nicht damit, dass jemand wirklich Ernst macht. Einerseits ist mir natürlich ein bisserl mulmig geworden bei der Vorstellung, dass der Herr Jandula und ich … Na, dass wir dann auch jemanden kidnappen müssen. Aber andererseits war es nach Monaten die erste Nacht, in der ich wieder durchschlafen konnte. Das war es wert. Vor allem, wo der Farnleithner dann eh wieder aufgetaucht ist, und noch dazu unversehrt.»
«Aber geläutert.» Klaus Jandula hebt in geradezu päpstlicher Pose die Hände. «Wie durch ein Wunder geläutert.»
«Was hat sie mit ihm angestellt?», fragt der Lemming jetzt. «Wo hat sie ihn hingebracht?»
«Wir wissen es nicht. Sie wollte uns erst einweihen, sobald die Reihe an uns kommen sollte. Sobald sie den Prantzl auch zur Räson gebracht haben würde. Ende Mai haben wir einander wieder getroffen, hier, an diesem Tisch. Es ist kein Wort über die Sache gefallen, nur am Schluss, beim Verabschieden, hat mir die Angela zugeflüstert, dass ich mich noch ein wenig gedulden müsse, weil der Prantzl mit seinem Killerhund ein härterer Brocken sei als der Farnleithner, und weil sie nach der letzten Aktion ein wenig Erholung brauche. Längstens drei Monate, hat sie gemeint, bis zum September. Ich habe nicht gewusst, soll ich weinen oder lachen: Die geplante Entführung vom Prantzl ist wie ein Füllhorn über mir gehängt. Und zugleich wie ein Damoklesschwert.»
«Und dann ist etwas schiefgegangen.»
«Wegen dieses stinkenden Köters, ja. Ein blöder Zufall: Der Prantzl hätte den Hund nicht dabeihaben sollen; wahrscheinlich wollte er vor der Arbeit noch rasch Gassi gehen mit ihm. Ein Glück nur, dass die Angela da heil herausgekommen ist. Beim nächsten Stammtisch war sie trotzdem in einem erbärmlichen Zustand: verängstigt, zerfahren, beinahe unansprechbar. Auf meine schüchterne Frage, ob und wann sie es wieder versuchen wird, hat sie nur den Kopf geschüttelt : ‹Ich kann nicht›, hat sie immer wieder gesagt. ‹Ich kann nicht› …»
«Keine Sorge: Wirst du können.» Karol stellt die vollen Gläser ab und legt – mit einer beiläufigen Geste – einen Strohhalm neben Jandulas Achtel. «Gesundheit, die Dame, die Herren.»
«Danke, Karol. Prost.» Klaus Jandula taucht das eine Ende des Strohhalms in seinen Rotwein, schnappt mit dem Mund nach dem anderen und beginnt zu schlürfen: ein Bild, das an jene modernen Langstreckenbomber gemahnt, die – selbst bei stürmischen Wetterverhältnissen – während des Fluges betankt werden können.
Solcherart mit blaufränkischem Kraftstoff frisch befüllt, spricht Jandula weiter. «Sie hat sich dann bei mir entschuldigt, die Angela. Sie könne nichts mehr für mich tun, sie könne dem Prantzl, der stinkenden Sau, nicht noch einmal gegenübertreten. Und dass wir – nicht nur ich, sondern auch die Frau Mally – von unserem Versprechen entbunden seien.»
«Und dieser Kerl? Ihr geheimnisvoller Feind? Den wollte sie davonkommen lassen?»
«Nein», sagt Josefine Mally jetzt, «durchaus nicht. Aber sie hatte ihre Meinung inzwischen geändert; sie wollte sich – trotz aller Bedenken – selbst um den Mann kümmern. Ich hab ihr damals … Nun, ich hab ihr meine Hilfe angeboten,aus Mitleid und aus Dankbarkeit. Aber sie hat abgelehnt. ‹Ich schaffe das schon›, hat sie gesagt. ‹Und wenn es das Letzte ist, was ich schaffe: ihn leiden zu sehen. Nicht sterben, nur leiden; so lange leiden,
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