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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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deutet auf die frische Zigarettenschachtel. «Darf ich?»
    «Nehmen Sie. Ich rauch ja nicht   …»
    Das Klicken des Feuerzeugs. Das leise Knistern der Glut. Die tiefen, ja gierigen Züge, mit denen sich Lehner die Lungen füllt. Als gelte es, dieses brennende Herz, diesen qualmenden Kopf mit Feuer und Rauch zu besänftigen. Similia similibus curantur   …
    «Anfang letzter Woche erst bin ich nach Wien zurückgekommen. Nach Wien, aber nicht in die D’Orsaygasse.»
    «Was war überhaupt mit der Wohnung?»
    «Versteigert. Zwangsversteigert. Schon im Frühling, während ich weg war. Den Großteil des Gelds hat natürlich die Bank gekriegt, allzu viel war es ja nicht: Wer will schon eine Wohnung mit dieser   … Geschichte? Aber zum Glück für die Bank hat es einen gegeben, der sie trotzdem wollte. Jetzt dürfen Sie raten.»
    Der Lemming braucht nicht zu raten. Er schüttelt nur langsam, sehr langsam den Kopf. Dann greift er nach den Zigaretten.
    «Die Ratte», fährt Lehner nun fort, «besitzt mittlerweile acht Wohnungen in der Rossau. Und zwei Häuser: Zinshäuser wohlgemerkt. Nur dass er eben leider kein Vermieter ist. Ein bisserl renovieren und ums Dreifache verkaufen, das ist seine Masche. Und was macht er mit den alten Mietern? Punktgenau.Er ekelt sie hinaus, mit allen Mitteln, die ihm sein Anwalt als gerade noch legal attestiert. Mit einem fünf Jahre langen Dachausbau zum Beispiel   …»
    «Mieter hinausekeln kommt mir bekannt vor. Da dürft’ er in Wien nicht der Einzige sein   …»
    «Er ist aber der Einzige, der Benjamin ermordet hat.» Diesmal hat Lehner ganz ruhig, ganz besonnen gesprochen. Es war eine sachliche Feststellung, verlautet im Ton eines Nachrichtensprechers. «Jedenfalls», fährt er fort, «bin ich am Weihnachtsabend hinausgefahren, auf den Bruckhaufen zu meiner Frau. Sie kann mich nicht abweisen, habe ich mir gedacht, nicht heute zu Weihnachten, nicht, wenn ich nach beinah einem Jahr vor ihrer Tür stehe. Sie muss mir verzeihen, und dann   … dann nehmen wir uns die Ratte gemeinsam vor. Ich schleiche mich also an der Vordertür vorbei nach hinten in den Garten, möglichst leise, um ihren Eltern nicht zu begegnen, und schaue durch das Fenster in ihr Zimmer. Und da seh ich sie. Da seh ich sie mit einem   … einem Baby auf dem Arm. Einem Baby, etwa so alt wie unser Ben im letzten Herbst. Sie können sich den Schock nicht vorstellen; auf den ersten Blick war dieses Bild, ich weiß nicht, so wie   … es sein hätte können, sein hätte sollen. Wie ein alter, lange vergessener Traum. Angela sah so glücklich aus;
beide
sahen so glücklich aus: meine Frau und der Kleine. Ihr Sohn, Herr Wallisch.»
    «Er hat sie sehr gern gehabt.»
    «Das konnte man sehen. Und fühlen. Es hat, wie Sie wissen, auf Gegenseitigkeit beruht. Angela   … Sie hat ihm nicht umsonst den Namen
Benjamin
gegeben. Ja, sie hat mir alles erzählt, nachdem ich ans Fenster geklopft und sie mich – wie erwartet – eingelassen hatte. Von der turbulenten Geburt, von Ihrem hübschen Haus in Ottakring, von Ihren   … Problemen. Sie war wie ausgewechselt, fast wie früher, wie damals, als wir einander begegnet sind: offen, entspannt, fast schonredselig. Der Kleine hat das alles wieder in ihr wachgeküsst, er hat sie verzaubert an diesem Heiligen Abend.»
    Unwillkürlich huscht ein Lächeln über die traurigen Züge des Lemming: In seine Wehmut mischt sich eine Prise Vaterstolz, nur kurz natürlich und auch nur in einem Ausmaß, wie es sein Mitleid mit Lehner gerade noch zulässt.
    «Später», spricht dieser nun weiter, «ist das Gespräch aufs entscheidende Thema gekommen. Da hab ich ihr meinen Entschluss mitgeteilt. Dass die Ratte bezahlen muss. Dass ich sie auslöschen werde, noch heuer, noch vor Jahresende   … Aber jetzt stellen Sie sich vor, Herr Wallisch, wie meine Frau reagiert hat: Sie hat   … gegrinst. Sie hat mich angegrinst, halb schelmisch, halb bedauernd. ‹Zu spät›, hat sie gesagt.»
    «Zu spät?»
    «Ich hab zuerst gedacht, sie meint, dass uns das unseren Ben nicht wiederbringen wird. ‹Was heißt zu spät?›, hab ich gefragt. ‹Glaubst du vielleicht, dass dieses Schwein mit seinen Machenschaften von alleine aufhören wird? Man muss doch auch andere vor ihm schützen!›»
    «Und Angela?»
    «Die hat mich weiter angegrinst. ‹Ich hab mich schon darum gekümmert›, hat sie gemeint. ‹Du kommst um eine Winzigkeit zu spät, mein Lieber. Um genau zu sein, zwei Tage   …›»
    Dem Lemming

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