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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
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Gastwirtschaft zu übernehmen. Sie war in der Sandstraße 34 (heute Nr. 45) gelegen. 1970 wurde das Haus, anlässlich des 50. Todestags von Lena Christ, mit einer Gedenktafel versehen: IN DIESEM HAUSE VERBRACHTE DIE BAYERISCHE DICHTERIN LENA CHRIST (1881–1920) ALS WIRTSLENI DIE JAHRE IHRER JUGEND 1893–1901.
    Nach der glücklichen Zeit in Glonn, in der sie Liebe, Verständnis und Bildung auftanken konnte, musste sie im Sommer 1893 zurück nach München – zusammen mit ihrem Halbbruder. Nun, mit dem beruflichen Neustart der Eltern, sollte die Familie wieder beisammen sein. Lena konnte man vor allem wieder als Hilfskraft und beim Kinderhüten brauchen. Der Großvater war skeptisch, fügte sich aber dem Willen seiner Tochter, allerdings »nicht ohne Kummer und Besorgnis«. Ob er irgendwann einmal in Erwägung gezogen hat, Lena ganz zu sich zu nehmen, ist unbekannt. Als Vormund wäre ihm das möglich gewesen, doch wahrscheinlich vertrat der mittlerweile Sechsundsechzigjährige die Auffassung, ein Kind gehöre zu seiner Mutter.
    Zunächst gestaltete sich das Zusammenleben in München friedlich. Es scheint, als habe die Mutter aus den vergangenen Monaten, die für sie zweifellos belastend waren, gelernt, ein wenig mehr auf andere Menschen einzugehen. Lena Christ erwähnt erstmals, sie sei von ihrer Mutter gelobt worden. Doch die Harmonie war nur ein Glücksschimmer. Denn all das, was Lenas Persönlichkeit ausmachte – Fantasie, musisches Talent, Lust am Spiel –, war ihrer Mutter gänzlich fremd.
    Lenas Hauptaufgaben bestanden darin, in der Gastwirtschaft zu helfen und ihre Brüder zu beaufsichtigen. Um die beiden zum Einschlafen zu bringen, dachte sie sich etwas Besonderes aus: »Aus einem Betttuch machte ich mir ein weißes Gewand, aus gelben Bierplakaten zwei Flügel und aus einem Lampenreif die Krone.« So verkleidet betrat sie das Schlafzimmer – die Brüder erkannten sie nicht – und sang ihnen vor. Am nächsten Tag wurde sie Zeugin eines Gesprächs der Kleinen: Der Schutzengel sei im weißen Kleid mit goldenen Flügeln am Abend zu ihnen gekommen und habe wunderschön gesungen. Nichts Gutes ahnend verbot sie ihnen, davon zu erzählen, und spielte jeden Abend den Schutzengel zur Freude der Kinder – bis sie von der Mutter entdeckt wurde. Ohne jedes Einfühlungsvermögen brach diese brutal in die zauberhafte idyllische Szene ein, entlarvte den Schutzengel als Schwindel, blamierte und beschimpfte ihre Tochter und riss die Söhne aus ihrer friedlichen Traumwelt. Sie hatte ihr Ziel erreicht: Die Brüder straften Lena mit Verachtung und gehorchten ihr nicht mehr. Die Autorität der großen Schwester hatte sie für eine Weile verloren und – was viel schlimmer war – Vertrauen und Zuneigung.

6
Mütter und Töchter
    Schenkt man Lena Christs Erinnerungen Glauben, so war ihr Leben im Haushalt ihrer Mutter ein regelrechtes Martyrium. In einigen Publikationen ist der Wahrheitsgehalt der Schilderungen angezweifelt worden – mit dem Argument, es handle sich bei den Erinnerungen einer Überflüssigen schließlich um einen autobiografischen Roman, also um ein literarisches Werk, und nicht um einen Tatsachenbericht. Doch Lena Christ verstand ihre Erinnerungen sehr wohl als Selbsterzählung mit dem Ziel der Bewältigung ihrer Erlebnisse durch Bewusstmachung und Gestaltung.
    »Schriftsteller sind Übertreibungskünstler«, behauptet Thomas Bernhard. Lena Christ hat sowohl das Schöne und Gute als auch das Hässliche und Böse überhöht, um es ins Scheinwerferlicht zu setzen. Mit gedämpfter Beleuchtung gab sie sich nicht zufrieden, weil sie nicht übersehen werden wollte. Sie wollte keine Zeilen schreiben, »die einer flüchtig überliest, weil es nicht wichtig ist, was da geschah«, wie sie es in ihrem Trauerspiel des Alltags kommentiert. Darin unterscheidet sich die literarische Erzählung ihres Lebens jedoch nicht wesentlich von jeder anderen autobiografischen Darstellung. Erinnerungen sind immer gestaltet und streng genommen »erfunden«. Der Soziologe Pierre Bourdieu prägte dafür den Begriff »biografische Illusion«. Jede Tagebuchnotiz ist mitbestimmt durch die aktuelle Situation des Schreibenden. Jede Erinnerung wird im Moment des Erinnerns neu gestaltet, wie der Neurowissenschaftler David Eagleman fasziniert konstatiert: »Unsere Gehirne sind meisterhafte Erzähler, sie verstehen es ausgezeichnet, sogar aus eklatanten Widersprüchen eine stimmige Geschichte zu spinnen.«
    Lena Christs Erinnerungen einer

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