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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
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Mädchen nicht mehr als Haus- und Landwirtschaft erlernen.
    Magdalena Pichler wollte nach oben. In ihrer Zielstrebigkeit und in ihrem Mut – im Alter von siebzehn Jahren ging sie ganz allein nach München – ähnelt sie der Rumplhanni, die ihre Tochter vierzig Jahre später schuf. Innerhalb kurzer Zeit avancierte Magdalena Pichler von der Dienstmagd zur Köchin. Von Anfang an gehörten ihre Arbeitgeber zu den »besseren Leuten«. Für sie bedeutete das einen Aufstieg, den sie sich durch Fleiß, Ehrgeiz und gute Manieren erkämpft hatte. Dafür musste sie ihre Glonner Kindheit in ärmlichen Verhältnissen verdrängen. Sentimentalitäten konnte sie sich nicht leisten. Doch es gab jemanden, den sie nicht einfach aus ihrem Leben streichen konnte: Ihre uneheliche Tochter war ein unüberwindbarer Makel, die Personifizierung ihrer Herkunft und ihres folgenschweren Fehltritts. Sie wird lange überlegt haben, ob sie das Kind nach ihrer Eheschließung mit Josef Isaak zu sich nach München nehmen oder besser bei den Großeltern lassen sollte.
    In der Figur der Rumplhanni hat Lena Christ sowohl ihre Mutter als auch sich selbst porträtiert. Sie lässt Hanni, die Tochter eines Regenschirmflickers, ihre ländliche Heimat verlassen, um sich in der Stadt eine Existenz aufzubauen. Wie Lenas Mutter ist sie mutig, energisch und selbstbewusst. Ihre Fluchtlinie hat dasselbe Ziel: nach oben. Orte und Menschen sind für sie nicht mehr als Mittel zum Zweck. Doch die »Karriere« erfährt Einbrüche, und diese erinnern an Lenas schmerzliche Erfahrungen in der Anonymität der Großstadt. In einigen Passagen des Romans verschmelzen Mutter und Tochter miteinander. Vielleicht hat die Autorin versucht, auf diese Weise eine Nähe herzustellen, die es im Leben nicht gegeben hat. Als sie erkannte, dass die Literatur diese Möglichkeit bietet, hat sie sie ausgeschöpft. So begann sie, ihre Mutter ein Stück weit zu verstehen. Ihrem Ehrgeiz und Aufstiegswillen, der sich zur Rücksichtslosigkeit und Brutalität steigerte und alles bekämpfte, was sich in den Weg stellte, stand Lena, die Schriftstellerin, nicht mehr hilflos gegenüber. Dieses Verständnis ließ sie gleichberechtigt werden. Sie war der Mutter nicht mehr unterlegen, sie war auf dem Weg, sich mit ihr zu versöhnen – in der Literatur, nicht im Leben.

7
Der Tod im Leben
    Als Lena 1894 zur Belohnung für ihre herausragenden schulischen Leistungen zusammen mit ihrer gleichaltrigen Freundin aus dem Nachbarhaus die Ferien in Glonn verbringen durfte, war der Großvater schwer erkrankt. Weil er Ruhe brauchte, wurden die beiden Mädchen nach Haslach zu Lenas Tante geschickt. Lena wäre zwar lieber in der Nähe des Großvaters geblieben, fügte sich aber dem Gebot der Großmutter. Dabei meinte sie, eine gewisse Rivalität zu spüren, denn »die Großmutter litt meine Anwesenheit nie lange und schien förmlich eifersüchtig darauf zu sein, ihn allein zu pflegen«. Die beiden Mädchen verlebten eine glückliche Zeit auf dem Land, in der das ehemalige Lausdirndl seiner Freundin zeigte, in welcher Freiheit es aufgewachsen war. Sie erkundeten die Gegend, fingen Fische, kuschelten sich nachts eng aneinander und zelebrierten ihre Freundschaft, die sie noch mit Treueschwüren besiegelten.
    Im Dezember desselben Jahres bekam Lena mitten im Unterricht ein Telegramm von ihrer Großmutter aus Glonn, auf dem zu lesen war: »Lenei, komm, Vater stirbt!« Schon in den Wochen davor hatte sie unter den schlimmsten Befürchtungen gelitten und gerade in der letzten Nacht einen Albtraum gehabt. Sie rannte sofort nach Hause und kannte nur ein Ziel: Zum Großvater! Doch die Mutter hielt sie zurück, verbot ihr die Fahrt aufs Land. Am nächsten Tag wurde ein zweites Telegramm übermittelt. Darin hieß es: »Vater tot, wird Samstag früh eingegraben.«
    Lena war vor Schmerz wie von Sinnen. Der von ihr am meisten geliebte Mensch hatte sie verlassen, und mit ihm verlor sie Schutz, Hilfe und Glück. Was sollte sie noch auf dieser Welt? Sie rannte die Treppe hinauf, immer höher, bis in den vierten Stock. Man hielt sie davon zurück, sich in den Hof zu stürzen. Am nächsten Tag fuhr sie in aller Früh mit der Mutter nach Glonn. Sie fühlte sich abgetrennt von allem Geschehen um sie herum. Der Schmerz bohrte sich so tief in sie, dass er jegliche andere Regung zerstörte. Sie konnte nicht einmal mehr weinen. Vor dem Zugfenster glitt die Landschaft vorbei, doch überall erblickte sie »das gütige Antlitz des Toten«.
    Im

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