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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
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Essen am Bauerntisch gesprochen? Wie bringt der Bursch dem Alten die brenzliche Geschichte bei? Welche Sprüche machen die Bauern beim Politisieren? Immer neue Situationen, immer neue Dialoge, einer so echt wie der andere, keine tote Stelle, keine überspitzte Pointe. Er ist nicht erlauscht, er ist erlebt.« Doch sie wisse noch mehr, so Hofmiller, blicke ihren Gestalten so tief ins Innere, dass ihr nicht die kleinste Regung entgehe, nicht einmal ein Gedankenspiel. Die Autorin könne sich genau hineinversetzen in die Zielvorgabe ihrer Heldin: »eine Heimat, ein eigenes Sach, Haus und Hof«. Dafür ist ihr jedes Mittel und jeder Mann mit Besitz recht. Genauso schnell, wie sie sich ihm zuwendet, erfolgt die Abwendung, wenn sie spürt, dass es aussichtslos ist. »Sie hält die Männer zum Narren und ist in ihren Mitteln skrupellos.«
    Mit wenigen sicheren Strichen skizziert Lena Christ die Figur einer egoistischen Frau, die nicht nur überleben will, sondern gut leben will. Hanni kann nichts dafür, dass sie in Verhältnisse hineingeboren wurde, die das nicht zulassen. Ihr Kapital sind Klugheit und Zielstrebigkeit. Lena Christ hat eine ebenso erstaunliche wie unwiderstehliche Frauenfigur geschaffen, die in ihrem rückhaltlosen Bekenntnis zum Egoismus von Lou Andreas-Salomé und in ihrem kompromisslosen Anspruch auf Glück von Franziska zu Reventlow stammen könnte. Die beiden berühmten Zeitgenossinnen sind allerdings nicht so weit gegangen wie sie: Ihre Protagonistinnen setzen sich zwar auch mit allen verfügbaren Mitteln ein, um ihre Ziele zu realisieren, doch an Skrupellosigkeit und Raffinesse ist ihnen die Christ’sche Rumplhanni sogar noch überlegen.
    Sie habe »kürzer oder länger« die Idee, den Entwurf zu einer Arbeit mit sich herumgetragen, »und dann warf sie es hin, in einem Zug«, staunt Jerusalem. Die Geschichtensammlung Bauern sei ebenfalls auf solche Weise entstanden, fast alle Texte wurden ohne nachträgliche Korrektur geschrieben. Dabei hebt er besonders die Erzählung Der Guldensack hervor, die sie 1914 auf dem alten Kanapee in der Wohnstube des Lindacher Bauernhauses verfasst hatte – innerhalb nur einer Stunde, und wiederum ohne Korrektur oder Änderung. Allerdings habe es auch Wochen gegeben, in denen sie keine Zeile schrieb.
    Im Rahmen der Publikation der Rumplhanni machte Lena Christ eine neue Erfahrung: Nachdem sie den Roman im Herbst 1916 zu Ende geschrieben hatte, Jerusalem zu einem Unterführerkurs nach Freising abkommandiert war und nicht auf Sonntagsurlaub zu ihr kommen konnte, schickte sie den Schluss direkt nach München zum Abtippen. Als Jerusalem den Korrekturbogen aus der Druckerei erhielt, war er nicht wie sonst zufrieden, sondern hatte einige Einwände, die er aber nicht äußern wollte. Weil sie sich immer so sicher war, habe er an eine mögliche Änderung nie gedacht. Anders der Verlagsleiter Korfiz Holm. Ihm gefiel der Schluss überhaupt nicht, er »machte den großzügigen Vorschlag, den Bogen noch einmal neu setzen zu lassen, wenn die Dichterin sich entschließen könnte, den Text und damit den Ausgang des Romans in dem von ihm gewünschten Sinne zu ändern«. Zwar nicht gerade begeistert, aber letztlich doch kooperativ stimmte Lena zu und »schrieb an einem Oktobernachmittag im Laufe von ein paar Stunden das Ende des Romans um«.
    Vermutlich ließ der ursprüngliche Schluss des Romans das Schicksal der Rumplhanni in der Schwebe. Die Autorin könnte ihre Protagonistin sich selbst überlassen haben. Beweglich, erfinderisch, unkonventionell und immer für Überraschungen gut – so ist die Figur von Anfang an angelegt. Dass Hanni als Ehefrau und Wirtin dauerhaft zur Ruhe kommt, ist schwer vorstellbar und wirkt aufgesetzt: »Und dann lässt sie sich willig von ihrem Eheherrn hineingeleiten in die Schlafkammer als seine liebe Hausfrau und Martlbräuin«, heißt es vor dem Schlussidyll, das einen schwülen Sommertag in München beschwört.
    Für Lena Christ war das Schreiben eine Möglichkeit, die inneren und äußeren Reize und Bilder, die sie manchmal überfluteten, unter Kontrolle zu bekommen. Sie war hochsensibel, konnte ihre Gefühlsantennen nicht abschalten, den Aufnahmelevel nicht herabsetzen, sondern war sozusagen »immer voll auf Empfang«. Ihrer übersteigerten Sensibilität war sie weitgehend ausgeliefert. Erst indem sie sich die Eindrücke beim Schreiben zunutze machte und sie selbst gestaltete, verloren sie an destruktiver Macht. Sie waren nicht länger die

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